„Faust II“-Premiere in Köln Beseelt vom Engels-Chor im Ohr

Köln · „Faust II“ wurde im Depot in Köln aufgeführt: Moritz Sostmann inszeniert Goethes „der Tragödie zweiter Teil“ - als flinke und geschmeidige Aufführung.

Kurzes Glück: Sophia Burtscher und Philipp Pleßmann. FOTO: AURIN

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Hier war der Rotstift am Werk. Und wenn man sich anschaut, was Regisseur Moritz Sostmann und Dramaturg Julian Pörksen von Goethes „Faust II“ übrig gelassen haben, fragt man sich, ob da ein Stift gereicht hat... Dem Resultat auf der Bühne hat die Streichorgie sehr gutgetan: Knapp zwei Stunden dauert „der Tragödie zweiter Teil“ bei der Premiere im Depot 2 des Kölner Schauspiels, wunderbare musikalische Einlagen inklusive. „Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen“ – sichtlich er- und gelöst nehmen Sostmann und sein Team den Applaus und den Jubel entgegen. Zu recht.

Goethe hatte veranlasst, dass das Werk erst nach seinem Tod veröffentlicht wird. Traute er der eigenen Arbeit nicht? Eine Heerschar von Figuren, Orten, Handlungssträngen und unzähligen Anspielungen von der griechischen Mythologie bis zu Goethes Gegenwart machen das komplette Stück zu einem Brocken, der durch reines Zuschauen im Theater kaum zu bewältigen ist. Dabei sind die Themen, auf die Sostmann seine Inszenierung konzentriert, hochaktuell: Es geht um die Macht des Geldes und das Schindluder, das mit der Wissenschaft und der Natur getrieben werden kann. Faust (Philipp Pleßmann) erfindet mit Mephisto (Yvon Jansen) für den Kaiser das Papiergeld, sein ehemaliger Schüler (Nicolas-Frederick Djuren) einen künstlichen Menschen. Und Faust wiederum entwickelt technische Methoden, um die Landgewinnung am Meer voranzutreiben.

Aber natürlich setzt ihm auch einmal mehr seine Libido zu: Nach dem Gretchen, die er im ersten Teil in den Tod getrieben hatte, ist die „schöne Helena“ (Sophia Burtscher) Objekt der Begierde. Doch das Glück ist nur von kurzer Dauer: Als der gemeinsame Sohn (Thomas Brandt) stirbt, nimmt auch sie sich das Leben. Übrig bleibt ihm nur der mit dem Konterfei der Liebsten bedruckte Mantel (Kostüme: Elke von Sivers).

Dreh- und Angelpunkt der Inszenierung ist ein quadratischer Bartresen (Bühne: Christian Beck), gleichermaßen Spielfläche für die Akteure sowie „Britz“, hinter der die Puppen (von Hagen Tilp) auftauchen, die wie immer in Sostmanns Inszenierungen einen Teil des Personals darstellen – und von Magda Lena Schlott, Steffi König, Johannes Benecke, Franziska Rattay und den anderen Schauspielern geführt werden.

In dieser Bar schläft Faust zu Beginn scheinbar einen Rausch aus, entsprechend könnte man die Handlung als einen von Alkohol oder anderen Substanzen befeuerten Traum halten. Denn wie nächtliche Visionen lässt Sostmann die Szenen über die Bühne fliegen. So verlieren auch plötzlich die dramaturgisch unlogischen Sprünge in Handlung, Zeit oder Raum das Moment der Verwirrung. Und am Ende ist es dann nur die Puppen-Version von Faust, die stirbt, während Philipp Pleßmann am Klavier im Halbdunkel des Bühnenrands sitzt.

Dazu läuft im Hintergrund Melancholisches wie Chet Bakers „Funny Valentine“ vom Band, Pleßmann schmachtet Helena mit Lord Byrons „She walks in beauty“ an. Goethe wird mal gerappt, mal à la Zarah Leander trompetet. Als Rausschmeißer singt das Ensemble so harmonisch wie seinerzeit die Beach Boys „God only knows what I would be without you“. Diesen Engels-Chor im Ohr verlässt man das Depot beseelt.

Ja, so flink und geschmeidig kann man das machen – vor allem, wenn man bedenkt, dass an einigen Terminen im Depot beide Teile hintereinander gegeben werden und der erste schon Sitzfleisch für gut drei Stunden verlangt. Aber bei diesem Faust-II-Konzentrat ist es auch angeraten, sich vorab mit dem Inhalt zu beschäftigen. Denn zu oft verschleiern Action oder Mätzchen, so sehr sie auch Auge und Gemüt erfreuen, des Pudels Kern.

Nächste Vorstellung, für die es noch Karten gibt: 29.4., 19.30 Uhr