"Das WCCB ist 'alternativlos'" Bilanz-Interview zum Beethovenfest

Bonn · Intendantin Nike Wagner spricht im Interview über das Konzert des ORF Radio-Sinfonieorchesters während des Bonner Beethovenfestes und kündigt für 2020 einen Sinfonien-Zyklus mit Teodor Currentzis an.

Mit welchem Gefühl blicken Sie auf drei Wochen Beethovenfest zurück?

Nike Wagner: Mit einem sehr guten, um nicht zu sagen: enthusiastischen Gefühl. Inspiriert war dies von der Eröffnungsmatinee. Selten habe ich für eine Veranstaltung so viel Zuspruch erhalten. Das ging hauptsächlich auf die Überschreibung von Beethovens „Egmont“-Musik auf ein Thema unserer Gegenwart zurück, nämlich den Völkermord in Ruanda vor 24 Jahren. Die Reaktion des Publikums hat mir Mut gemacht, dass unser diesjähriges Motto „Schicksal“ trägt. Obwohl es ja kein heiteres, für den Unterhaltungsbetrieb geeignetes Thema ist. Ich war froh, dass Dirk Kaftan sofort mitgezogen hat, obwohl er Paul Griffiths´ Beethoven-Adaption „The General“ erst kennenlernen musste. Solch ein Konzert erfüllt auf ideale Weise unsere Programmgestaltung: Beethoven in unserer Gegenwart. Der Auftakt war so gut, dass auch verschiedene Schwankungen in den Auslastungen sie nicht mehr verderben konnten.

Einige Konzerte waren in der Tat nicht so gut besucht...

Wagner: Das lag nicht allein an der Prominenz oder Nichtprominenz der Künstler oder der Gängigkeit der Stücke. Schumanns Violinkonzert mit Renaud Capuçon oder eine Sinfonie von Schostakowitsch, die beim Gastspiel des Russische Nationalorchesters gespielt wurden, „ziehen“ eigentlich landauf, landab. Eine Erklärung dafür ist, dass wir wegen der Belegung des WCCB sehr früh anfangen mussten. Die Bonner waren eben erst aus den Ferien zurück. Nach der ersten Woche lief der Kartenverkauf dann erheblich besser. Alles ist bestens, hat aber stockend angefangen.

Man hört verschiedentlich, dass das WCCB die Leute vom Kartenkauf abhält. Wie ist da Ihre Erfahrung?

Wagner: Das habe ich auch oft gehört. Viele warten jetzt offenbar auf die Wiedereröffnung der Beethovenhalle. Aber bis dahin ist das WCCB „alternativlos“. Und so schlecht ist diese Kongresshalle ja nicht. Wir verkaufen die unfreundlichen Seitenplätze nicht, auch nicht die unter der hinteren Empore. Die Akustik ist etwas trocken, aber insgesamt okay.

Wird es nicht besonders schwierig für den Kartenverkauf, wenn dann noch neue Musik auf dem Programm steht, wie beim MDR Sinfonieorchester, das mit der Uraufführung von Bernhard Langs Stück über Beethovens Klavierkonzert Nr. 3 betraut war?

Wagner: Das ist die alte Schwierigkeit mit den Bonnern. Wie weckt man ihre Neugier? Ich kann mir eigentlich kein besseres Konzept für eine Uraufführung vorstellen, als dass ein Komponist sich so deutlich an Beethoven anlehnt wie Lang. Wenn der Konservativismus hier dann noch durch die Anmutung einer Kongresshalle verstärkt wird... Jedenfalls waren diejenigen, die da gewesen sind, immer sehr zugetan und begeistert. Ich habe wieder viele Standing Ovations miterlebt, auch bei zeitgenössischer Musik wie etwa im Konzert mit der Geigerin Patricia Kopatchinskaja und der Camerata Bern in einem kleineren Saal des WCCB.

Es gab 57 Konzerte in 25 Spielstätten, darunter auch ganz neue. Welche mögen Sie besonders?

Wagner: Am liebsten ist mir das Forum in der Bundeskunsthalle. Man sitzt gut, hört gut, ist in der Moderne des Raums wunderbar aufgehoben. Sehr gut kommt auch die Kleine Beethovenhalle als Spielstätte an. Auf den Kammermusik-Saal des Beethovenhauses können wir ohnehin nicht verzichten, er ist perfekt. Aber Sie kennen mein Mantra: wo ist der Konzertsaal für 500 - 600 Personen?

Ist Ihr Konzept mit den insgesamt sechs Programmschwerpunkten aufgegangen?

Wagner: Ich denke, ja. Sie machen ein bisschen Ordnung in unserem heuer besonders vielfältigen Programm. Unsere „Originalklang“-Schiene beispielsweise hat sehr gut hingehauen. Mit Ferdinand Ries' Oratorium „Der Sieg des Glaubens“ sind wir auch von der überregionalen Presse stark wahrgenommen worden. Das Klavierwochenende im WCCB mit András Schiff und Dénes Várjon war sehr gut besucht – keiner hat mehr von „Akustik“ geredet. Vielleicht weil diese Darbietungen so gut beleuchtet waren? Der einsame Pianist im Halbdunkel vor roten Bannern... Auch die drei Tanz-Performances, insbesondere der Abend mit Emanuel Gat und dem Ensemble Modern, waren ein notwendiger und erfolgreicher Programm-Block – es gibt sie ja, die zeitgenössisch interessierten Bonner! Ich freue mich überhaupt darüber, dass unser Programm so sehr gelobt wird und ich aus vielen Gesprächen erfahre, dass nun auch die Dramaturgie des Festivals erkannt und anerkannt wird.

Mit dem Auftaktwochenende war das Festival in der Stadt sehr präsent: Bühne frei für Beethoven, Public Viewing und Ludwigs Lounge. Könnten die Erfahrungen, die Sie damit gemacht haben, vielleicht darin bestärken, ein Festivalzelt während der gesamten drei Wochen als Anlaufstelle fürs Publikum zu installieren?

Wagner: Wäre herrlich: eine eigene Stätte auf dem Marktplatz, wo man über die Konzerte informiert werden, Tickets kaufen und sich niederlassen kann! Aber wir müssen furchtbar auf die Finanzen achten und geben unser Geld dann letztlich doch lieber für die Kunst aus.

Können Sie schon Highlights für 2019 nennen?

Wagner: Es wird romantisch werden. Mit einem Nocturnes-Wochenende, mit Schumanns „Das Paradies und die Peri“, mit Beethovens sechster und Mahlers siebter Symphonie, mit Schönbergs „Pierrot lunaire“ und der „Verklärten Nacht“.

Und das Motto?

Wagner: „Mondschein“. Es wird ein kleineres Festival werden. Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm.

Wie läuft denn im Hinblick auf 2020 die Zusammenarbeit mit der Jubiläumsgesellschaft?

Wagner: Das hat sich entspannt. Da gab es zwischenzeitlich, strukturell bedingt, ein paar Schwierigkeiten, weil die Jubiläumsgesellschaft ja auch selbst als Veranstalterin auftreten darf und dies auch tut...

Zum Beispiel mit einem Konzert der Berliner Philharmoniker?

Wagner: Erlauben Sie mir einen kleinen Umweg. Wir sind verpflichtet, für jedes Sonderprojekt, das von der Jubiläumsgesellschaft gefördert werden soll, einen Eigenteil von mindestens 25 Prozent aufzubringen. Inzwischen haben wir viele solcher Projekte eingereicht und müssen nun aufpassen, dass wir mit dem Geld, das wir in diese Sonderprojekten stecken, nicht unser Kernprogramm aushungern. Die Berliner Philharmoniker hatte ich mit Mühe an Land gezogen. Sie werden den „Fidelio“ spielen, den sie auch in Baden-Baden machen. Aber uns ist der Eigenanteil an diesem Projekt zu hoch und da haben wir nun die Jubiläumsgesellschaft gebeten, das Gastspiel der Berliner ganz zu übernehmen, im Gegenzug machen wir den von Christian Lorenz vorgeschlagenen Sinfonien-Zyklus mit Teodor Currentzis. Dem von außen anreisenden Besucher ist es wohl egal, wer in Bonn als Veranstalter eines Konzertes firmiert.

Kürzlich wurde bekanntgegeben, dass der Bonner Medien-Club Sie mit dem Bröckemännche-Preis 2019 ehrt. Was sagen Sie dazu?

Wagner: Ich freue mich riesig darüber! Weil es ein Zeichen der Anerkennung ist. Und ein Zeichen des integriert Seins. Es ist ein populärer Preis und seit dem Thüringischen Verdienstorden ist es die zweite Ehrung, die ich erhalte.

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