Bitte nicht applaudieren, der Pianist möchte spielen

Grigory Sokolov verzaubert bei einem Beethovenfest-Gastspiel - Publikum in der Bonner Beethovenhalle bewegt Künstler zu sechsfacher Zugabe

  Der Pianist Grigory Sokolov  in der Beethovenhalle.

Der Pianist Grigory Sokolov in der Beethovenhalle.

Foto: Horst Müller

Bonn. Nach der sechsten und letzten Zugabe, mit der Grigory Sokolov sich bei seinem Bonner Publikum bedankte, ging die Beleuchtung in der Beethovenhalle so plötzlich an, als wolle der Hausmeister dem Pianisten bedeuten: Es ist bald elf und ich will nach Hause!

Sokolov, der auf Einladung des Beethovenfests zu einem Sondergastspiel nach Bonn gekommen war, ist trotz der Spendierlaune, die er im Zugabenteil an den Tag legte, nicht der Künstler, der die Nähe zum Publikum sucht. Er wirkt während des Konzerts im Gegenteil eher distanziert. Applaus scheint den Mann aus Sankt Petersburg eher zu stören.

Als das Publikum nach Johann Sebastian Bachs Französischer Suite Nr. 3 in h-Moll pflichtschuldig und beeindruckt von seinem artifiziellen und klangschönen Spiel zum Beifall anhob, ließ er die Hände demonstrativ auf den Tasten des Flügels liegen, als wolle er attacka zu Beethovens Sonate d-Moll op. 31,2 übergehen. Immerhin war zu erahnen, dass der intendierte dramaturgische Effekt von bestechender Wirkung gewesen wäre.

Sokolov interpretiert nicht das einzelne Werk, sondern einen Abend. Und so ergeben sich plötzlich durch seine Hände Verbindungen zwischen den Komponisten, die einem sonst kaum aufgefallen wären. Er zeigt innere Verwandtschaften auf, wie etwa zwischen der Sarabande aus der Bach-Suite, die hier als romantisches Nachtstück daherkommt, und der Aria aus Robert Schumanns Klaviersonate fis-Moll op. 11, die er in eine ganz ähnliche Atmosphäre taucht.

Und auch Beethovens "Sturmsonate" wirkt dazwischen nicht als Fremdkörper. Das Adagio schien gleichsam von innen zu glühen; und wenn nach der wie von einem Paukenwirbel-Motiv begleiteten Episode plötzlich das gesangliche Thema aufblüht, mag man wieder an Wunder glauben.

Sokolovs phänomenale Anschlagskunst zeigte sich auch in so schlichten Stücken wie der Bachschen h-Moll-Suite, bei der er in der Gavotte auch ein kräftiges Staccato nicht scheute. Effekthascherei ist ihm dabei absolut fremd, die Tempi blieben in einem Rahmen, der auch talentierte Klavierschüler nicht überfordern würde.

Die Größe seiner Interpretationskunst liegt in der Gestaltung, in den immer wieder neu durchleuchteten Beziehungen zwischen den Stimmen, in der lebendigen Phrasierung und einer subtilen Klanglichkeit.

In der Beethoven-Sonate zeigte er das auch in den Rahmensätzen. Bei ihm sind der "Sturm und Drang"-Charakter des Kopfsatzes und die rezitativischen Largo-Einschübe zwei Welten, die doch zusammengehören. Und beim Perpetuum-mobile-artigen Finale setzt er wieder nicht auf Tempo, das bei ihm tatsächlich "Allegretto" bleibt, sondern auf die innere Dynamik des Satzes, den er in einen feinsilbrigen Klang hüllt.

Im extrem langen Zugaben-Teil nach einer umjubelten Schumann-Sonate erklangen fünf Stücke von Frédéric Chopin und eines von Jean-Philippe Rameau.

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