Theaterpremiere in Köln Bitterböses Kasperletheater

Köln · Moritz Sostmann inszeniert im Kölner Depot 2 „Victor oder Die Kinder an der Macht“

 Man möchte ihn am liebsten verhauen: Johannes Benecke überzeugt als Giftzwerg Victor.

Man möchte ihn am liebsten verhauen: Johannes Benecke überzeugt als Giftzwerg Victor.

Foto: Martin Miseré

Es geht auch ohne Puppen – fast. Bislang entstanden Moritz Sostmanns Regiearbeiten am Kölner Schauspiel immer als ein Miteinander von Darstellern und Figuren, die Sostmann zu einem Ensemble verschmelzen ließ. Für seine Inszenierung von Roger Vitracs „Victor oder Die Kinder an der Macht“, die jetzt im Depot 2 ihre bejubelte Premiere erlebte, verzichtet er auf diesen Kunstgriff – bis zur Schlussszene.

Stattdessen lässt er das von Vitrac schon als Karikatur angelegte Personal wie dreidimensionale Comicfiguren, wie zum Leben erweckte Kasperlefiguren agieren. Über weite Strecken gelingt so ein wirklich lustiger Abend. Trotz all der Bösartigkeiten auf der Bühne.

Denn Victor (Johannes Benecke), der heute seinen neunten Geburtstag feiert, ist ein wahres kleines Monster. Nachdem er absichtlich eine teure Vase zerbrochen hat, schiebt er das dem Dienstmädchen in die Schuhe (Lou Zöllkau, die nach einem Unfall während der Proben im Rollstuhl spielt). Zusammen mit dem Nachbarsmädchen Esther (Magda Lena Schlott) enttarnt Victor die Affäre seines Vaters (Jakob Leo Stark) mit Esthers Mutter (Sabine Orléans), triezt Esthers psychisch angeschlagenen Vater (Seán McDonagh) bis in den Selbstmord. Doch als er in der Nacht heftige Magenschmerzen hat, mag ihm das niemand mehr so recht glauben – so dass er schließlich stirbt.

Vitrac, aus heutiger Sicht ein Vorläufer des absurden Theaters, wollte 1928 mit Boulevardelementen die französische Gesellschaft attackieren, die, trotz der Kriegserfahrungen, versuchte die Fassade von Anstand, Aufrichtigkeit und Wohlergehen aufrechtzuerhalten. Der altkluge Victor rebelliert, doch am Ende seines Aufstands liegt nicht nur die teure Sèvres-Vase in Scherben.

Doch für allzu Hintersinniges oder nachdenkliche Zwischentöne bleibt bei Sostmann keine Zeit. Da wird knapp zwei Stunden lang auf die Tube gedrückt, die Darstellerriege versorgt den sprichwörtlichen Affen mit derart viel Zucker, dass die Texte bisweilen verplappert und verläppert werden.

Natürlich ist es ein großartiges Vergnügen, wenn Sabine Orléans von der Grande Dame zur hysterischen Mutter wird und sich am Boden (lachend? heulend?) wälzt. Wenn Séan McDonagh die Nöte der dauerfurzenden Ida Totemar mit trashiger Grandezza versieht. Oder Johannes Benecke als Victor wie ein wütender Diktator um sich schießt. Nicht umsonst also ist die Bühne (Ausstattung: Klemens Kühn) eine leicht erhöhte Spielfläche mit verschiebbaren, übergroßen roten Türen, die mit aufblasbaren Plastikmöbeln zu Salon oder Schlafzimmer wird. „Austoben“ scheint das Motto der Proben gewesen zu sein. Jetzt spielt man Reise nach Jerusalem, befördert per Bauchklatscher einen der Plastiksessel ins Jenseits. Plastic Bertrands „Ça plane pour moi“ dient als Soundtrack für ein wildes Tohuwabohu.

Da bleibt für den sinnlichen Umgang mit Puppen, wie in den anderen Sostmann-Abenden, kein Platz. Erst der sterbende Victor ist eine überlebensgroße Figur, die die Verletzlichkeit des Kindes verkörpern kann. Grimassen, Faxen, Slapstick – das wäre für Puppen wirklich nichts gewesen, aber vielleicht liegt ja da der Haken der Inszenierung.

Und am Ende das Ensemble Edith Piafs „Non, je ne regrette rien“ anstimmen zu lassen, ist ehrlich gesagt schon eher abgeschmackt. Oder eine alberne Parodie?

110 Minuten (ohne Pause). Weitere Vorstellungen am 7.4. (ausverkauft), 17.4. (17 Uhr), 10.5. (20 Uhr), 15.5. (18 Uhr).

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