Bonner Theater Bölls "Ansichten eines Clowns" mit dem großartigen Bernd Braun

BONN · Der Clown auf der Bühne ist alt und erledigt, ein jammerndes Wrack. Was ist heute ein Clown? Ein aus der Zeit gefallenes Subjekt, etwas letztlich Überflüssiges? Jeder weiß, dass Clowns nicht lustig sind, dass Clownsein ein elender Job ist.

 Einsam und allein steht der Clown vor dem eisernen Vorhang: Bernd Braun in Alice Buddebergs Böll-Inszenierung.

Einsam und allein steht der Clown vor dem eisernen Vorhang: Bernd Braun in Alice Buddebergs Böll-Inszenierung.

Foto: Thilo Beu

"Ich glaube, es gibt niemanden auf der Welt, der einen Clown versteht, nicht einmal ein Clown versteht den anderen", wird Bernd Braun am späteren Samstagabend in den Zuschauerraum der Kammerspiele rufen, "da ist immer Neid und Missgunst im Spiel". Noch später: "Ich hasse Clowns. Ich habe Clowns nie gemocht."

Schon als Heinrich Böll vor 51 Jahren seinen Bestseller "Ansichten eines Clowns" auf den Markt brachte, war der Beruf des Spaßmachers mit dem kalkweißen Gesicht ein Anachronismus: der Narr, der im Roman einer bigotten und rücksichtslosen Gesellschaft des Wirtschaftswunders, den naht- und bruchlos vom "Dritten Reich" in die Adenauerzeit fortgeführten Biografien und Karrieren den Spiegel vorhält.

Damals wollte mit diesem Spaßmacher, der sich als Spaßbremse entpuppt, niemand etwas zu tun haben. Und heute? Als Alice Buddeberg, Bonner Regisseurin des zum Einpersonenstück umgeformten Clown-Romans, geboren wurde, lebte Böll noch, aber sein Buch war mausetot; an manchen Schulen allerdings noch Lektürestoff lebendig.

1976 hatte es eine langatmige Verfilmung gegeben, mit einem mimischen Totalausfall Helmut Griem als Clown Hans Schnier und der rehäugigen Fassbinder-Muse Hanna Schygulla als Marie. Doch dann wurde es still um Bölls moralinsaures, pathetisches, sehr in der Entstehungszeit der späten Adenauerjahre verhaftetes Werk.

Buddeberg gelingt es lange 75 Minuten in den Kammerspielen nicht, plausibel zu machen, warum dieser Stoff exhumiert und dramatisiert gehört. Man hat Bölls Clown großteils die geschichtliche Basis entzogen, ihn weitgehend entrümpelt, ihm die meisten Passagen geraubt, in denen sich der Kölner Autor an seinem Katholizismus abarbeitet.

Zu Unkenntlichkeit, zu einer wirren, unverständlichen Gedanken- und Geräuschcollage geschrumpft, erscheint der Komplex Nationalsozialismus. "Du kannst es nicht verdrängen, weil du es sofort vergisst", sagt Braun ein ums andere Mal - Bölls Hauptvorwurf an seine Zeitgenossen, die sich die Gegenwart schönredeten und über die braune Vergangenheit den Mantel des Schweigens breiteten.

In der Bonner Inszenierung gibt es diesbezüglich nichts zu verdrängen und zu vergessen. Es ist kaum etwas da. Von den "Ansichten eines Clowns" geblieben ist Bölls Bonn-Bashing: "Dieser Pflichthass auf Bonn", wie Braun sinniert, "Bonn hat immer gewisse Reize gehabt, schläfrige Reize, so wie es Frauen gibt, von denen ich mir vorstellen kann, dass ihre Schläfrigkeit Reize hat".

Dankbares Kichern im Publikum. Aufgepeppt werden die "Ansichten" durch neue Kommentare zur NSA und Zitate wie Joschka Fischers "Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch" (1984). Aber das sind nur willkürliche Zeit-Tupfer. Im Kern des Abends wird der unattraktivste Bestandteil des Romans abgebildet: das zeitlose Klischee des Bohemiens und Clowns, der säuft und klagt, der am Ende gar nicht mehr lustig ist, ein Borderliner, ein Verlassener.

Ein zähes Drama. Für dessen Verlauf der großartige Bernd Braun am wenigsten kann. Nach Kräften gibt er dieser wirren, traurigen Seele zwischen Melancholie und Kopfschmerz Leben. Er ist der Clown, der am Anfang weiß geschminkt mit einer goldenen Pappkrone auf dem Kopf und im gestreiften Bademantel auf die Bühne kommt, sich in seinem Gram um die verflossene Marie auch optisch in einen geschundenen Woyzeck zu verwandeln scheint, schließlich mit dem immer schwächer werdenden Licht die Bühne verlässt.

Was ist das für eine jämmerliche Bühne! Bernd Braun, seiner Verletzlichkeit und Dünnhäutigkeit bleiben die wenigen Zentimeter zwischen dem eisernen Vorhang und dem Bühnenrand, ein schmaler Gang, in dem er wie ein gefangenes Tier auf und ab tigert. Er füllt diesen engen Raum mit Verzweiflung, kratzt sich unentwegt, fährt sich über den kahlen Kopf, raucht eine nach der anderen (tut jedenfalls so).

Bernd Braun lässt die schönen Stunden mit seiner Marie aufglimmen, lebt den Schmerz über den Verlust seiner Schwester Henriette, die die Mutter im Krieg an die Flak und in den Tod schickte. Bald fällt er ins Delirium, hört Stimmen: Die NS-Zeit fährt wie ein geistiges Stroboskop-Flackern auf ihn herab.

Am Ende des Bölls-Romans sitzt der Clown mit seiner Gitarre vor dem Bonner Bahnhof und singt ein Lied über den Papst und die CDU, Müllers Esel und Müllers Kuh. Diesen schwülstigen Schluss hat Buddeberg uns erspart. Aber es ist ihr auch nichts Besseres eingefallen.

Auf einen Blick

  • Das Stück: Heinrich Bölls arg verstaubter Roman über die muffige Adenauerzeit als Einpersonenstück.
  • Die Regie: Alice Buddeberg scheut das Zeitkolorit, begnügt sich mit dem Klischee des glücklosen Clowns.
  • Der Schauspieler: Bernd Braun agiert großartig. Man hätte ihm für sein Solo ein besseres Stück gegönnt.

Info

Weitere Vorstellungen 29. Januar, 9. und 15. Februar. Karten gibt es in den Bonnticket-Shops der GA-Zweigstellen.

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