Bonner Historiker schreibt brillante Biographie über Sebastian Haffner

"What made him tick?", die klassische Biografenfrage, die nach den Gründen fragt, warum einer so oder so tickt, ist gerade bei Haffner schwierig zu beantworten. Jürgen Peter Schmied hat die Herausforderung angenommen, das Denken des historischen Publizisten zu verorten.

 Kritischer Geist: Sebastian Haffner (1907-1999).

Kritischer Geist: Sebastian Haffner (1907-1999).

Foto: dpa

Bonn. Als die "Spiegel-Affäre" Ende 1962 so richtig hochkochte, ergriff der meinungsfreudige und scharfzüngige Journalist Sebastian Haffner vehement Partei. Und er stand bei dieser Debatte, die sich an der Durchsuchung der Redaktionsräume des Magazins und der Verhaftung unter anderem des Herausgebers Rudolf Augstein entzündet hatte, nicht dort, wo man ihn vermutete: Nicht in der konservativen Ecke, wo er zuvor eher unterwegs war, sondern bei denen, die die staatliche Willkür gegen den vermeintlichen Geheimnisverrat des Spiegel nicht akzeptieren wollten.

Haffner, damals Kolumnist der Welt, bekam Ärger, Chefredakteur Hans Zehrer entließ den brillanten Schreiber und gab zu Protokoll, Haffner sei "eigentlich der Prototyp des Feuilletonisten, der ohne politische Verantwortung im Topf der Politik herumrührt, aber gerade deshalb in seiner Wirkung besonders gefährlich ist". Haffner ging zum Stern, gehörte dort 13 Jahre zu den besten Kolumnisten - aber Ärger gab's auch da.

Haffners abrupte Kehrtwendungen, seine Position in der Spiegel-Affäre war nur eine unter mehreren, sind unterschiedlich bewertet worden. Mal galt er als genialer und nicht selten vorausblickender Stratege in einer Debattenkultur, die schillernder und viel interessanter als unsere heutigen Sarrazin-Stuttgart 21-Atomausstieg-Scharmützel anmutet, mal als Opportunist, der sich gerne mit Polemiken ins Gespräch bringt.

"What made him tick?", die klassische Biografenfrage, die nach den Gründen fragt, warum einer so oder so tickt - gerade bei Haffner ist sie so schwierig zu beantworten. Der Bonner Historiker Jürgen Peter Schmied hat die Herausforderung angenommen, das Denken dieses neben Golo Mann und Joachim Fest wohl bedeutendsten historischen Publizisten zu verorten und parallel seine überaus spannende Biografie zu rekapitulieren, in der sich die Geschichte Europas und des politischen Journalismus in Deutschland spiegelt.

Schmied hat Haffners Feuilletons ausgegraben und publiziert, dann über Haffner in Bonn promoviert. Sein bei C. H. Beck erschienenes Buch "Sebastian Haffner. Eine Biografie" wird heute Abend im Haus der Geschichte vorgestellt - von Hans-Ulrich Jörges, Haffners Nachfolger als Stern-Kolumnist. Es ist nicht das erste Buch über den 1999 gestorbenen Publizisten, der mit seinen "Anmerkungen zu Hitler" (1978), die Joachim Fest als eine Verbindung von "äußerster Nüchternheit mit hoher intellektueller Originalität" lobte, und posthum im Jahr 2000 mit seinen Erinnerungen "Geschichte eines Deutschen" für Furore sorgte. Erstmals aber waren Haffners Nachlass und seine Tagebücher Inhalt der Recherche.

"Ich habe dadurch einen tiefen Einblick in Haffners Persönlichkeit gewonnen", sagt Schmied, "es war ihm immer wichtig, seine Meinung unzensiert äußern zu können." Schmied erzählt die Geschichte von Raimund Pretzel, der 1907 in Berlin geboren wird, Jura studiert, schon früh eine kritische Meinung gegenüber dem Nationalsozialismus entwickelt, als Journalist, der sich nicht von der NS-Propaganda kompromittieren lassen will, für Feuilletons und Modezeitschriften schreibt.

Pretzel emigriert nach London, beginnt seine "Geschichte eines Deutschen", eine scharfsinnige Analyse des Dritten Reichs aus der Perspektive eines Individuums, begeistert den Verleger Frederic Warburg, der auch Thomas Mann herausbringt. Inzwischen hatte Hitler Polen überfallen, wurde in "interessierten Kreisen erörtert, inwieweit Hitler die Deutschen vertrete beziehungsweise ob das Dritte Reich in der Kontinuität der deutschen Geschichte stehe oder nicht", schreibt Schmied.

Folgte die Bevölkerung geschlossen Hitler oder gab es auch das von den Emigranten beschworene "andere Deutschland"? Diese Fragen behandelt Haffner in seinem ersten Bucherfolg, "Germany: Jekyll and Hyde" (1940), für den er, um seine Familie in Deutschland zu schützen, den Namen ändert: Aus Raimund Pretzel wird Sebastian Haffner, der Musikfreund bringt Johann Sebastian Bach und Mozarts Haffner-Sinfonie in Einklang. Gerade Haffners aufregende Londoner Zeit, die ihn zum renommierten Observer führt, der wiederum Haffner 1954 als Korrespondenten nach Berlin schickt, ist noch nie so ausführlich behandelt worden wie in Schmieds Buch.

Ganz intensiv auch die 1960er, 1970er Jahre, in denen Haffner ohne Rücksicht auf Reaktionen und seine journalistischen Arbeitgeber erstaunliche Wendemanöver vollzog: "In den Jahren um den Mauerbau funktionierte er fast wie ein Barometer der West-Berliner Stimmungen, gegen Ende der Adenauer-Ära schwenkte er gleich vielen Kollegen auf einen radikalreformerischen Kurs um, und wie nicht wenige ältere Sympathisanten der Studentenbewegung entwickelte er nach 1970 eine inständige Abneigung gegen alles und jedes, was mit der Außerparlamentarischen Opposition zu tun hatte", schreibt sein Biograf.

Der Publizist Sebastian Haffner selbst sah den Journalismus nicht als "Weg zur Unsterblichkeit". Aber Jürgen Peter Schmied ist sich sicher, dass seine Debattenbeiträge, die beim Stern oder über Publikationen ein Millionenpublikum erreichten und goutiert wurden, einen beachtlichen Einfluss hatten.

Buchpräsentation in Bonn Jürgen Peter Schmieds Buch "Sebastian Haffner. Eine Biografie" (C. H. Beck, 683 S., 29,95 Euro) wird am heutigen Donnerstag, 19.30 Uhr, von Hans-Ulrich Jörges (Mitglied der Chefredaktion des Magazins Stern) im Bonner Haus der Geschichte vorgestellt. Anmeldungen unter strassberger@hdg.de.

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