Bonner Kunstverein entdeckt die bizarre Welt der Anna Lea Hucht

Auch Peter-Mertes-Stipendiatinnen bieten Entdeckungen - Chaos im Wohnzimmer

Bonner Kunstverein entdeckt die bizarre Welt der Anna Lea Hucht
Foto: Franz Fischer

Bonn. Irgendetwas stimmt hier nicht: In diesen kleinen, fein ziselierten, wie Filmeinstellungen anmutenden Welten mit ihrer fast kokett inszenierten Unordnung und den wie zufällig verstreuten Accessoires lauert das Chaos - trotz der Hinweise auf ein Drehbuch, das erklären könnte, was hier vor sich geht.

Anna Lea Hucht hat mit feinem Aquarellpinsel und Kohlestift Interieurs geschaffen, die durch ihren magischen Realismus verzaubern: Die Szenen muten fotorealistisch exakt und unkorrumpierbar an, der Blickwinkel von leicht erhöhtem Standpunkt ist der des kühlen Dokumentars oder Forschers, jedes Blatt wurde akribisch durch Recherchen vorbereitet. Aber bald tun sich Brüche im Bild auf, geistern schwer definierbare Protagonisten durch die perfekt inszenierte Welt.

Die 1980 in Bonn geborene Anna Lea Hucht hat für ihr außergewöhnliches Oeuvre, das neben Zeichnungen auch aufwendig hergestellte Vasen mit Augen umfasst, den renommierten Horst-Janssen-Grafikpreis bekommen. Die Jury lobte ihren Ansatz, "eine essenziell romantische Welterfahrung ohne Nostalgie oder Peinlichkeit mit der Gegenwart kurzzuschließen", und ihren Mut, abseits gängiger Trends eigene Wege zu gehen.

Wohin die führen, kann man nun im Bonner Kunstverein verfolgen: Die hinreißend perfekt in Grautönen gezeichneten und aquarellierten Großformate "Fallende Vase" oder "Das Zimmer des Forschers" arbeiten mit dem Prinzip der Erwartung und der Spannung, siedeln das bizarr möblierte Interieur in einer Art Kulisse an, die aber realer anmutet als die Welt außerhalb.

Virtuos bricht Anna Lea Hucht die innere Bildlogik, indem sie etwa dem Bodenbelag ein bizarres Eigenleben gibt. Die Künstlerin ist ein wahrer Muster-Freak: Überall kollidieren Dekore und Designs, sorgen Fußbodenstrukturen und Wandgestaltungen für optische Grenzerfahrungen, die, sobald auch noch Aliens und Geister in die Bildwelt drängen, Horror-Qualität erreichen.

Anna Lea Hucht wandelt ziemlich sicher auf dem schmalen Grat zwischen rein technischer Akkuratesse und einem barock ausufernden Spiel mit Zitaten und erzählerischen Details. Für ihre Ausstellung im Kunstverein sollte man viel Zeit einplanen; es lohnt sich, diesen fantasievollen, kunstvoll verschraubten Welten auf den Grund zu gehen.

Entdeckungen bieten auch die beiden Peter-Mertes-Stipendiatinnen, die sich mit Anna Lea Hucht die Kunstverein-Halle teilen. Monika Stricker (1978 geboren), ehemalige Studentin von Rita McBride und Magdalena Jetelová, bringt "Tribals" in den Kunstraum. Was sonst Schultern, Arme oder die Lendenregion mancher "Damen" ziert, bizarr geformte Tattoos, hängt nun metallisch und groß an der Wand.

So wenig das Tattoo mit dem Stammeszeichen zu tun hat, dem es abgeschaut war, so verrückt mutet es an, dieses Sinn-entleerte Zeichen nun in den Kunst-Kontext zu stellen. Was bleibt, ist bloße Deko - und das Nachdenken über den Weg, den die edlen, rituell aufgeladenen "Tribals" über den Rücken mancher prolligen Tussi nun in den Kunstverein genommen haben.

Materialverfremdungen anderer Art zeigt die zweite Stipendiatin Gesine Grundmann (Jahrgang 1974), Meisterschülerin von Rosemarie Trockel. In Israel reifte die Idee, ein klassisches Burberry-Karomuster quasi zu entkernen oder aus schnöden Kunststoff-Lamellen auratische Kunstquader zu bauen. Ein faszinierender, sehenswerter Transfer.

Bonner Kunstverein, Hochstadenring 22; bis 5. Juli. Di-So 11-17, Do bis 19 Uhr. Eröffnung: am Freitag, 19 Uhr

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