„Ein Feldlager in Schlesien“ Bonner Oper feiert nach mehreren Absagen endlich Premiere

Bonn · Giacomo Meyerbeers wiederentdecktes Singspiel „Ein Feldlager in Schlesien“ sorgt an der Oper Bonn für Irritationen

 Szene aus dem Singspiel „Ein Feldlager in Schlesien“ in Bonn.

Szene aus dem Singspiel „Ein Feldlager in Schlesien“ in Bonn.

Foto: Thilo Beu

Preußens Glanz und Gloria donnert aus den Rohren der Blechbläser, die Marschtrommeln schnarren unerbittlich und raue Sängerkehlen des Opernchores intonieren harsch die unerbittliche Vaterlandsliebe, während Trompetensignale im „Dessauer Marsch“ triumphieren. Soldaten haben ihr Feldlager im Publikum aufgeschlagen, die Premierengäste in der Bonner Oper sind umstellt von verschiedenen Feldmusiken und vier Chören, Banner werden gehisst, das Militärische wird gefeiert – Publikumsreaktion: erschreckt, pikiert, verunsichert, aber auch beeindruckt. Die Premiere von Giacomo Meyerbeers Singspiel „Ein Feldlager in Schlesien“ erwischte das Regieteam in schwierigen Tagen.

Heute ist nicht die Zeit für Verherrlichung aggressiver Könige und Feldherren. Das ist dem künstlerischen Stab natürlich nicht entgangen. Nun stellt die Wiedergeburt dieses nach der Berliner Uraufführung 1844 untergegangenen Singspiels in Lebensbildern aus der Zeit Friedrich des Großen eine sehr besondere Sachlage dar: Gleich mehrfach wurde die anberaumte Bonner Premiere sehr kurzfristig abgesagt – für eine seit 130 Jahren ungespielte Oper findet sich nicht leicht Ersatz in den Protagonisten-Rollen.

So überrollte die reale Zeitgeschichte die Produktion und zwang die Regie, ihre Position zu überdenken. Und sie hat richtig entschieden, dieses mächtige Spiel jetzt auch unter ungünstigem Stern herauszubringen – besonders der zweite militärische Akt entfacht ein musikalisches Feuerwerk.

Von Anfang an zieht Meyerbeer in seiner Vertonung des Librettos von Eugène Scribe in den deutschen Worten von Ludwig Rellstab alle Register des meisterhaften Komponisten mit Sinn für das Besondere. Da die Ouvertüre vor den zweiten Akt versetzt wurde, beginnt die Szene mit einem klug erfundenen Chronisten (dem Schauspieler Michael Ihnow), der auch Fremdtexte zur Erhellung der Umstände einfließen lassen kann. Er führt in die ramponierte Landhaus-Atmosphäre mit Filmset-Resten ein, in der Hauptmann a.D. Saldorf seine Pflegetochter Vielka und seine Nichte Therese behütet. Partner für die Damen sind auch vorhanden, für die Zigeunerin Vielka der Pflegesohn Conrad, für Therese der Neffe Leopold.

Conrad, ein Hasenfuß in militärischen Fragen, soll eine Reise tun, bei der er auf der Flucht vor ungarischen Reitern unter eine Brücke flieht, dort auf den ihm unbekannten König trifft und ihn im Hause Saldorf versteckt. Als die Ungarn das Gut übernehmen, verführt sie Vielka mit Zauberei und Schnaps zum friedlichen Saufen. Der alte Saldorf verhilft dem König endgültig zur Flucht, getarnt als Musiker – zum Beweis seines Berufs muss er tüchtig blasen.

Und das konnte Friedrich ja. Da in den Zeiten der Uraufführung keine Mitglieder der Hohenzollern-Dynastie auf profanen Theaterbühnen gezeigt werden durften, begleitet diese väterlich weise Figur die Handlung ausschließlich in Flötentönen. Teilweise liefern sich zwei Flötenvirtuosen heikelsten Schlagabtausch von der Bühne in den Graben – nur eine der selten präsentierten Spezialitäten des ausgefuchsten Meyerbeer. Arien und Ariosi fordern mindestens ein obligates Soloin­strument, zartesten Seidenglanz der Streicher, wohligen Harfenfluss oder durch Chorstimmen gebettete Linien.

Tobias Schabel als Saldorf schafft den geforderten Ambitus seiner Partie mit souveräner Ruhe. Therese (Barbara Senator) setzt auf lyrische Qualitäten und kontrastiert dadurch glänzend die diabolischen Schärfen der Hauptpartie der Vielka (Elena Gorshunova), deren Wurzeln bei Sinti und Roma ungarisches Feuer mit volkstümlichem Zauber verknüpfen. Sie singt sogar ihrem Conrad (Jussi Myllys), einem tölpelhaft geckigen Spieltenor, sein eigenes Flötenkonzert in wildesten Koloraturen vor.

Dirk Kaftan regiert im Orchestergraben die schmissigen, oft tänzerischen Instrumentationsorgien, die engagiert bewältigt werden. Seine Meisterleistung fordert aber die Koordination des Geschehens bei der Saaleinnahme durch Chor und Extrachor (Marco Medved), wo immer gern noch ein Tenor solistische Parolen schmettert und an zehn Stellen kleine und große krachende Militärkapellen eingefangen werden wollen. Hier hat Regisseur Jacob Peters-Messer ganze Arbeit geleistet und von den Abteilungen Bühne (Sebastian Hannak) und Kostüme (Sven Bindseil) Großtaten eingefordert.

Leider verpufft die Kraft des Stückes nach diesem Exzess, und auch der originellste Einfall ermüdet im handlungsarmen dritten Akt. Die nationale Begeisterung des Soldatenheeres konnte das Publikum im Schlussapplaus nicht toppen: Danke, dass wir das Stück mal sehen durften.

Länge: knapp 4 Stunden mit zwei Pausen. Vorstellungen: am 8. Mai, 16 Uhr und am 15. Mai, 18 Uhr

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