"Ich ist nicht Gehirn" Bonner Philosoph Markus Gabriel stellt am Dienstag sein Buch vor

Rheinbach · Die letzten Worte in seinem jüngsten Buch überlässt der Bonner Philosoph Markus Gabriel dem 205 Jahre älteren Kollegen Friedrich Wilhelm Joseph Schelling: "Das A und O aller Philosophie ist die Freiheit." Tatsächlich versteht Gabriel seine Schrift "Ich ist nicht Gehirn - Philosophie des Geistes für das 21. Jahrhundert", die er Dienstag in Rheinbach vorstellt, als eine Verteidigung derselben.

 "Das A und O aller Philosophie ist die Freiheit": Philosoph Markus Gabriel mit einem Schelling-Buch. FOTO: DPA

"Das A und O aller Philosophie ist die Freiheit": Philosoph Markus Gabriel mit einem Schelling-Buch. FOTO: DPA

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Er verkündet ganz lapidar, wir seien "tatsächlich die freien geistigen Lebewesen, für die wir uns seit Jahrtausenden halten und die auch politisch für ihre Freiheiten eintreten".

Das mag sich zwar zunächst als Selbstverständlichkeit anhören, ist es aber ganz und gar nicht. Gerade im noch jungen Zeitalter der Naturwissenschaften habe sich laut Gabriel die Vorstellung herausgebildet, dass das Ich und das Gehirn identisch seien, dass wir unser Denken ganz konkret in irgendwelchen Hirnregionen verorten können.

Der 1980 in Remagen geborene und seit 2009 an der Bonner Uni lehrende Philosoph möchte aber mit dieser Vorstellung aufräumen. Unser Denken ist mehr als ein "Neuronengewitter unter unserer Schädeldecke", mehr als ein komplexes System aus Reiz und Reaktion, das den Menschen sozusagen als ferngesteuerten Sklaven seines eigenen Hirns über die Erde wandeln lässt.

Wer die Freiheit verteidigt, muss notwendigerweise einen Gegner ausmachen, gegen den er in den Kampf ziehen will. In Gabriels Fall ist das wenig überraschend die Neurowissenschaft, deren Bestreben, das Denken und somit das Ich als (irgendwann messbare) Hirnströme zu begreifen, er kluge und schlüssig aneinandergereihte Argumentationsketten entgegenhält. Gabriel erinnert daran, dass der frühere amerikanische Präsident George W. Bush am 17. Juli 1990 die "Dekade des Gehirns" ausrief, dem ein paar Jahre später in Deutschland der damalige NRW-Ministerpräsident Wolfgang Clement folgen sollte und die hiesige "Dekade" mit einem Kongress in Bonn einleitete. Gabriel weist rückblickend auf eine Formulierung in einer Presseerklärung hin, in der impliziert wurde, dass es möglich sei, "dem Gehirn beim Denken zuzuschauen".

Dem Geisteswissenschaftler aber erscheint diese Vorstellung als eine Schimäre der Naturwissenschaft. Er nennt diesen Ansatz, der Gehirn und Denken gleichsetzt, "Neurozentrismus", eine bewusste Anlehnung an den Begriff Eurozentrismus, der die Welt nach europäischen Kategorien und Werten beurteilt. Mit seiner Wortschöpfung "Neurozentrismus" unterstellt er den Erforschern des menschlichen Hirns durchaus einen Chauvinismus, der sich in einem Überlegenheitsanspruch der Naturwissenschaft äußert.

"Die Grundidee des Neurozentrismus lautet, ein geistiges Lebewesen zu sein, bestehe in nichts weiterem als dem Vorhandensein eines geeigneten Gehirns", schreibt Gabriel. Er hingegen glaubt, "dass wir in der Tat frei sind und dass dies vor allem damit zusammenhängt, dass wir geistige Lebewesen sind". Die Bestrebungen der Naturwissenschaft und Teilen der Philosophie, den Menschen als determiniertes Wesen zu begreifen, bezeichnet er als "Entlastungsfantasien".

Denn frei zu sein sei auch lästig. Gegen Ende des Buches scheut sich Gabriel nicht vor Pathos: "Es gibt viele Gründe, den sozialen und politischen Fortschritt voranzubringen", schreibt er, "weil unzählige Menschen derzeit unter Bedingungen leben, die es ihnen ausgesprochen schwermachen, auf der Höhe der Menschenwürde zu leben". Und die ist Bedingung für Freiheit.

Um etwas über den menschlichen Geist zu erfahren, findet Gabriel, lernt man von Dichtern wie Shakespeare mehr als von jedem Neurowissenschaftler. Deshalb bewegt sich Gabriel in seinem Buch immer auch gern jenseits der eigentlichen Fachdisziplinen. Es wird dem Leser des Buches auch passieren, dass er sich ganz unvermittelt dem von Billy Bob Thornton gespielten Killer Lorne Malvo aus der grandiosen TV-Serie "Fargo" gegenübersieht, dessen zynische Brutalität für ihn eine "krasse Form des Sozialdarwinismus" darstellt, der wiederum eine logische Konsequenz aus der "Neuromanie" ist.

Auch in den TV-Serien "The Walking Dead", "Dr. Who" oder Filmen wie "Zeit des Erwachens" findet Gabriel reichlich Anschauungsmaterial. Das macht die Lektüre ungemein reizvoll. Ebenso die Tatsache, dass Fachchinesisch nicht zu den acht Fremdsprachen zählt, die Gabriel beherrscht.

Dienstag, 12. Januar, 19.30 Uhr, Hochschul- und Kreisbibliothek, Von-Liebig-Straße 20, Rheinbach: "Zu Gast auf dem Sofa: Markus Gabriel.", Lesung und Dialog: "Ich ist nicht Gehirn" (Ullstein, 352 S., 18 Euro). Eine Veranstaltung des General-Anzeigers, der Hochschul- und Kreisbibliothek und der Buchhandlung Kayser.

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