GA-Interview Bonner Sängerin Cynthia Nickschas startet durch

BONN · Die Bonner Sängerin Cynthia Nickschas (30) startet durch – mit dem explosiven zweiten Album „Egoschwein“, einer bundesweiten Tournee und diversen Konzerten in der Heimatstadt.

 Sängerin Nickschas: "Bei der Straßenmusik habe ich bereits eigene Lieder gesungen, anfangs auch ein paar Coversongs, um die Aufmerksamkeit in den Fußgängerzonen zu erregen - viel Amy Winehouse und Joss Stone".

Sängerin Nickschas: "Bei der Straßenmusik habe ich bereits eigene Lieder gesungen, anfangs auch ein paar Coversongs, um die Aufmerksamkeit in den Fußgängerzonen zu erregen - viel Amy Winehouse und Joss Stone".

Foto: N.Gartz

Und siehe da: „Egoschwein“ ist der große Wurf. 14 lebhafte Lieder mit deutschen Texten aus dem echten Leben, begleitet von einer agilen Band, die jede relevante Stilrichtung drauf hat.

Schlank, zierlich, zarte Federn am Hut. Der Händedruck indes passt zu keinem Leichtgewicht: aber hallo! Cynthia Nickschas sitzt im Biergarten am Alten Zoll, auf der Bühne gegenüber wird sie mit ihrer Band am 3. August die diesjährigen Stadtgartenkonzerte eröffnen. Die Sängerin, die in Bad Godesberg lebt, kommt gerade von zwei Auftritten, sie hat auf dem World Music Festival Loshausen bei Marburg und Südwinsen bei Hannover gespielt. Mit Cynthia Nickschas sprach Heinz Dietl.

GA: Cynthia, Ihre Stimme klingt etwas angegriffen. Waren die Festivaleinsätze der vergangenen Tage so anstrengend?

Cynthia Nickschas: Nicht wirklich. Die Konzerte waren der Knaller. Einige Fans fahren uns hinterher, stehen vor der Bühne und singen alle Texte mit. Dieser Weg ist mir lieber.

GA: Lieber als was?

Nickschas: Lieber als die Teilnahme an einer Castingshow oder sonstige vertragliche Verpflichtungen. Ich will mir mein Publikum organisch aufbauen. Und das funktioniert.

GA: Haben Sie deshalb Ihr neues Album über Crowdfunding, also mit Spenden finanziert?

Nickschas: Ja. Ich will den maximalen Einfluss auf meine Musik behalten. Und selber entscheiden, wann ich was veröffentliche, wie meine Videos aussehen. Auch den Vertrieb steuere ich selbst.

GA: Auf „Egoschwein“ scheint vieles zu passen. Und man hat den Eindruck: Sie können mit Ihrer Stimme alles anstellen, sie hört Ihnen aufs Wort. Ist dem so?

Nickschas: Ja, meine Stimme ist immer da, wenn ich sie brauche. Ich habe Lust auf meine Stimme, ich erfreue mich selbst an ihr. Und ich habe den Anspruch, mich nicht auf einer geraden Linie durch ein Lied zu singen. Ich mag es lieber verspielt.

GA: Sie schmücken selbst textfreie Passagen vokal aus, etwa mit kleinen Koloraturen. Ist das der Ausdruck purer Lebensfreude?

Nickschas: Ja. Meine Songs entstehen aus der Musik heraus, die Musik ist immer zuerst da. Was ich schreibe, fliegt mir zu, als würde es bereits existieren. Ich muss nur danach greifen. Deshalb feiere ich meine Songs. Weil sie einfach passieren.

GA: Wie ist der Ablauf beim kreativen Prozess?

Nickschas: Erst Gitarre, dann Melodie, dann Text, dann die Band.

GA: Im Stück „Musik“ verneigen Sie sich vor der Musik als solche und singen gleich in der ersten Zeile: „Kann man davon leben?“ Eine Frage, die Sie nervt?

Nickschas: Die Frage kommt sehr oft, das Lied gibt die Antwort: Ich mach‘s einfach. Musik!

GA: Es folgt „Irgendwie geil“, eine Ballade ohne jede Larmoyanz. Woher nehmen Sie die Power?

Nickschas: Auch das ist so passiert. Mit Geige und Saxofon. Ein schönes Liebeslied, das funktioniert, obwohl das Wort „Liebe“ kein einziges Mal vorkommt. Und zum ersten Mal in meinem Leben habe ich mich getraut, leise zu singen.

GA: Ihre Band spielt Pop, Rock, Balkan, Klezmer. Manchmal glaubt man, auch der Filmkomponist Hans Zimmer habe seine Finger im Spiel. Zufall?

Nickschas: Nicht unbedingt. Hans Zimmer ist auch ein Perfektionist, der immer eine Lösung findet. Ich habe gerade in eine Doku gesehen, wie er beim Soundtrack zu „The Dark Knight“ seinen Cellisten fast in den Wahnsinn getrieben hat, um einen ganz spezielle Ton zu erzeugen. Eine solche Intensität hatten wir jetzt auch bei uns im Studio.

GA: In welchen Situationen?

Nickschas: Bei einem Song fehlte das endgültige Arrangement. Ich habe die Grundspur eingespielt, während sich meine Jungs einen unglaublichen Satz mit Bläsern und Streicher ausgedacht haben. Ich war überwältigt.

GA: In „Reise ins Blau“ und „Nein!“ bringen Sie Ihren Freiheitsdrang zum Ausdruck. Mussten Sie oft schwer kämpfen?

Nickschas: Meine Eltern haben immer zu mir gestanden, aber es gab schon irgendwie in Bezug auf mich die Vorstellung: Haus, Auto, normaler Job. Aber das ist nicht meine Welt. Ich glaube: Jeder hat Talente, und wenn man diese ordentlich nutzt, macht man auch seinen Job.

GA: Ein erster Job war auf der Straße. Was haben Sie gespielt?

Nickschas: Eigene Lieder, anfangs auch ein paar Coversongs, um den Sprung ins kalte Wasser auszuhalten und die Aufmerksamkeit in den Fußgängerzonen zu erregen. Viel Amy Winehouse und Joss Stone.

GA: Welche Erfahrungen haben Sie auf der Straße gemacht?

Nickschas: Sehr gute. Ich habe mit 22 damit angefangen und wurde gleich zu Beginn auch für Clubs und Musikkneipen gebucht.

GA: Der Musiker Elias Breit macht gerade als ELI Karriere. Was lernt man auf der Straße?

Nickschas: Es ist ein gutes Training. Ich singe auch deshalb vergleichsweise laut. Weil: Ein kleines Mädchen mit Gitarre fällt nicht auf, also muss man Druck machen. Auch die Rotzigkeit hilft, einfach frech sein.

GA: Wobei hilft das?

Nickschas: Mir hat einmal ein Passant von hinten einen Mülleimer auf dem Kopf ausgeleert mit den Worten: „Geh nach Hause, Penner!“ Dabei entwickelt man eine rotzige Haltung.

GA: Wie liefen Ihre Tourneen mit Konstantin Wecker?

Nickschas: Ich habe gelernt, wie große Shows funktionieren. Aber auch, dass man auf dem Boden bleiben muss, selbst wenn man in den Himmel gelobt wird.

GA: Ist der Titelsong „Egoschwein“ das Plädoyer für einen gesunden Egoismus?

Nickschas: Kann man so sagen. Man muss Grenzen setzen – und auf Distanz gehen zu den Energiefressern, die mir meine Zeit und meine Gedanken rauben. Ich habe zu lange versucht, es allen recht zu machen.

GA: Das thematisieren Sie auf „Alles gleich Mensch“. Es geht um Stress, auch in den sozialen Medien. Was genau ist gemeint?

Nickschas: Streitereien auf WhatsApp etwa sind sinnlos, weil sie oft ausarten. Ein echtes persönliches Gespräch bringt mehr. Mehr Gefühl und mehr Respekt.

GA: Sie sind Tuttlingen geboren, haben später in Fulda gewohnt. Was verschlägt Sie nach Bonn?

Nickschas: Ich bin oft nach Köln und Bonn zur Straßenmusik gependelt. Dabei habe ich den Bonner Gitarristen Stefan Janzik, der heute in meiner Band spielt, kennengelernt. So kam es, dass wir eine WG in Bonn gegründet haben. Erst in einer Wohnung in Beuel, dann mit Familie und Band im Haus in Bad Godesberg.

GA: Spielen Sie noch regelmäßig Straßenmusik?

Nickschas: Hin und wieder, an konzertfreien Tagen.

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