Rundgang voller Bühnenträume So war die 17. Bonner Theaternacht

Bonn · Die 17. Bonner Theaternacht war einmal mehr eine beeindruckende Werkschau, an welcher sich alle Bühnen der Bundesstadt Bonn beteiligten. Wer so viel wie möglich sehen wollte, stieß allerdings schnell an seine Grenzen - ein Selbstversuch.

Am Mittwochabend fand in Bonn die 17. Theaternacht statt.

Am Mittwochabend fand in Bonn die 17. Theaternacht statt.

Foto: Thomas Kölsch

Pünktlich um 19 Uhr beginnt ein Experiment: Wie viele Aufführungen kann man im Rahmen der Bonner Theaternacht wirklich sehen, wie viele Bühnen besuchen, wie viel Kultur aufsaugen? Immerhin fußt das gesamte Konzept der Theaternacht darauf, dass die Besucherinnen und Besucher nicht an einem Ort verweilen, sondern neugierig umherziehen. Was also ist realistisch: Sechs, sieben, acht Veranstaltungen? Das ist schon sportlich, vor allem wenn für das Pendeln zwischen den Bühnen nur die eigenen Füße und öffentliche Verkehrsmittel genutzt werden. Mal schauen, was geht.

Auf jeden Fall beginnt die Reise in der Brotfabrik, der Heimat vieler freier Laien-Ensembles größtenteils studentischen Ursprungs. Acht von ihnen treten an diesem Abend auf, dazu kommen drei Tanz-Kollektive, das Theater Marabu sowie – auf einer Außenbühne im Heimatmuseum Beuel – noch eine weitere Produktion. Den Auftakt macht Theater Rampös mit „Dantons Tod“. Büchner. Ein Klassiker. Doch das Ensemble versucht im Gegensatz zu anderen Theatergruppen nicht, das Original wortgetreu auf die Bühne zu bringen, sondern geht kurzerhand darüber hinaus und verknüpft das Drama, das die Französische Revolution aufarbeitet, mit der aktuellen Klimapolitik. Danton, der eine liberale, auf Kompromissen aufbauende Haltung propagiert, und der fanatische Robespierre, der die völlige Hingabe an die Ziele der Revolution fordert, treffen so auf die Letzte Generation und Extinction Rebellion.

Eine spannende Setzung, die mitunter ein wenig ausfranst (zwischendurch dreht sich das Stück auch um die Zustände in Bangladesch und die Flutkatastrophe an der Ahr), vom Grundsatz her aber mehr Raum verdient hätte. Das Ende der Aufführung ist auf jeden Fall schneller gekommen als gedacht – und schon nutzt Regisseur Markus Weber die Gelegenheit, für das Haus zu trommeln. Was auch dringend nötig ist, da die Stadt kurzerhand Zuwendungen in Höhe von 20.000 Euro umverteilt hat: Die Bühnensparte muss auf die Summe verzichten, dafür soll eine Tanzsparte auf- und ausgebaut werden. Also müssen die Ensembles selber ran und werden als Zeichen der Solidarität für ihr zweites Zuhause am morgigen Freitag das Foyer renovieren. Eine tolle Geste. Nur schade, dass sie nötig ist.

In einem neu erschlossenen Raum direkt neben dem Eingang zur Brotfabrik zeigt derweil der Tanzgenerator Bonn, was er mit dem Geldsegen anfangen möchte. Gerade tritt das Feed Your Head Collective auf, das mit Motion-Capturing- Techniken spielt, mit froschgrünen Kostümen und virenartigen Helmen, die per Computer auf digitale Charaktere übertragen werden. Die wiederum sind ständig im Fluss, verändern sich im Rhythmus elektronischer Musik, mutieren von barbusigen Frauen zu Wladimir Putin, gefangen im Zustand kontinuierlicher Metamorphose.

Weiter geht’s. Die ursprüngliche Prämisse, nie an einem Ort zu verweilen, ist jetzt schon passé, dafür gibt es in der Brotfabrik einfach zu viel Programm, aber die Theaternacht lebt nun einmal von der Reise. Also ab zur Werkstattbühne des Theater Bonn. „Das Floß der Medusa“ steht in einer halben Stunde auf dem Programm, das sollte ja wohl machbar sein angesichts eines von den Stadtwerken extra bereitgestellten Shuttle-Services.

Der hält allerdings nicht vor der Brotfabrik, sondern am Konrad-Adenauer-Platz, und das auch nur alle 20 Minuten. Zum Glück gilt das Theaternacht-Ticket für alle öffentlichen Verkehrsmittel. Also schnell über die Aenauer-Brücke, dann vom Bertha-von-Suttner-Platz zum Theater. Es wird knapp, aber es klappt.

Und schon nach wenigen Minuten wird klar, dass der Stress sich gelohnt hat. Die Geschichte des grausamen Überlebenskampfes auf den zusammengebundenen Überresten der Fregatte „Méduse“, die den Maler Théodore Géricault zu seinem wahrscheinlich berühmtesten Gemälde inspiriert hat, wird überaus intensiv in Szene gesetzt, und die zunehmende Verzweiflung der „Passagiere“ angesichts von Hunger und Trinkwasserknappheit ist insbesondere mit dem Bild von überfüllten Flüchtlingsbooten im Mittelmeer mitunter nur schwer zu ertragen. So gut kann Theater sein.

Nächster Halt: Das Institut Francais. Hier reicht die halbe Stunde für einen entspannten Spaziergang völlig aus, zumal das Wetter kaum besser sein könnte. Am Ziel angekommen zeigt sich, dass so einige Theaternachtgänger die selbe Idee hatten. Der Saal des Instituts ist etwa zur Hälfte gefüllt, ein guter Schnitt für eine Produktion, über die nicht viel bekannt ist.

Die Erläuterung folgt sofort: Ausgehend von Rainer Maria Rilkes Gedicht „Das Karussell“ haben sich 15 Dichterinnen und Dichter inspirieren lassen und Texte auf Französisch und Kurdisch geschrieben, von denen einzelne nun vorgetragen werden. Dazu steht das hölzerne Zirkuspferd Hektor auf der Bühne, außerdem spielt Schausteller Toni Schleifer Saxofon – mit ihm und seiner Familie hat Regisseurin Eugenia Fabrizi den Film „Wenn die Welt ein Karussell…“ realisiert, der Anfang Juni Premiere im Institut Francais haben wird.

Zurück in die Innenstadt. Der Weg führt am Opernhaus vorbei – ohne einen Blick aufs Programm würde man ja davon ausgehen, dass die größte der Bonner Bühnen irgendetwas zu bieten haben wird. Leider Fehlanzeige. Es ist 22 Uhr, in der Werkstatt läuft gerade die letzte Aufführung, der Kinder- und Jugendchor ist auch schon längst weg, und die Glastüren der Oper sind abgeschlossen. Irgendwie ein trauriges Bild. Erst in einer halben Stunde beginnt hier das Programm, mit Aufführungen der Alanus Hochschule und ab 23.30 Uhr die traditionelle Theaternacht-Party, auf der alle Beteiligten bis in die frühen Morgenstunden feiern können. Immerhin. Warum die Räumlichkeiten des Hauses aber nicht stärker genutzt werden, bleibt ein Rätsel.

Dabei wäre es durchaus sinnvoll, die Theaternacht mehr in die Innenstadt zu holen. Die ist nämlich ansonsten weitgehend verwaist. Auf dem Marktplatz folgt eine erfreulich große Gruppe einem Mann mit Hellebarde – die Nachtwächter-Führungen von Stattreisen Bonn Erleben sind seit jeher ein Publikumsmagnet – aber ansonsten findet die Theaternacht im Zentrum nicht statt.

Erst am Contra-Kreis-Theater ist wieder Leben. Drei Auszüge der Komödie „Extrawurst“ sind inzwischen abgespielt (alle voll, wie Theaterleiter Horst Johanning freudig erzählt), jetzt steht die Bühne den Studierenden der Universität Bonn zur Verfügung.

Die Kooperation zwischen dem Kulturreferat des AStA und dem altehrwürdigen Haus existiert schon seit einigen Monaten und scheint sich bewährt zu haben, wie das Interesse an dem Format zeigt. Im Grunde ist hier jede Kunstform willkommen, wer sich ausprobieren möchte, der darf dies tun. Den Anfang macht ein Poetry-Slammer, der sich mit dem Alltag aussöhnt, weil dann wenigstens nichts Schlimmes passiert. Ein intensiver Text.

Jeder Künstler hat bei „The Stage is Yours“ 15 Minuten zur Verfügung, danach wird gewechselt. Bei der ersten Gelegenheit geht es raus auf die Straße, nicht weil das Gesehene langweilig war, sondern weil noch ein letzter Stopp ansteht: Das Euro Theater Central. In der Vergangenheit war dort immer der größte Andrang und die beste Stimmung, und als das Haus noch im Mauspfad residierte, war auch die Innenstadt deutlich lebhafter.

Der neue Standort an der Budapester Straße scheint sich in dieser Hinsicht nicht negativ auszuwirken, ganz im Gegenteil: Laut Theaterchefin Ulrike Fischer hätte sie jede Vorstellung im Innenhof mit 200 Personen durchführen können, so groß sei das Interesse gewesen. Kein Wunder: Obwohl das Euro Theater derzeit mitten im Umbau steckt, hat es nicht nur die überdachte Außenbühne, sondern auch den Flur und den Tiefkeller bespielt. In den Katakomben packt Richard Hucke gerade zusammen, nach anderthalb Stunden Speed-Acting im Sieben-Minuten-Takt. Diabolisch geschminkt hat er Texte von Ernst Jünger vorgetragen, auf engstem Raum für jeweils eine Person. Das geht an die Substanz.

Oben gehen derweil Daniel Breitfelder und Johannes Brüssau auf die Bühne, nicht für ihr König*innen-Drama, sondern für die Vorbereitung. Vor Publikum. „Ob die Leute hier irgendwann mitbekommen, dass ihre Zeit gleich abgelaufen ist und die Vorstellung erst beginnt?“, fragt Breitfelder irgendwann. Wenn schon. So schön kann Theater sein.

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17. Bonner Theaternacht

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Am Ende noch Zeit für ein Fazit: Sieben Veranstaltungen in fünf Stunden sind durchaus machbar. Allerdings sind die Wege mitunter recht lang, und wer sich etwa in Endenich oder in Bad Godesberg umschauen möchte, wird danach nicht mehr ohne Weiteres in die Innenstadt kommen, vor allem da es dafür nur wenige Gründe gibt.

Eine konzentriertere Form der Theaternacht könnte dabei helfen, wird aber wahrscheinlich schon allein aus finanziellen Gründen kaum umsetzbar sein. Aber auch unter den aktuellen Vorzeichen kann die Reise durch die Bühnenwelten überaus reizvoll sein. Hoffentlich gilt dies auch im kommenden Jahr.

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