Brotfabrik zeigt neue Choreografie von Karel Vanek

Ein schrilles Schreien zerreißt die Stille und bohrt sich schmerzhaft in die Ohren. So könnte ein Horrorfilm beginnen. Drei nackte Männer knien in der Dunkelheit auf dem Boden und schälen bedächtig Zwiebeln.

Brotfabrik zeigt neue Choreografie von Karel Vanek
Foto: Brotfabrik

Bonn. Ein schrilles Schreien zerreißt die Stille und bohrt sich schmerzhaft in die Ohren. So könnte ein Horrorfilm beginnen. Drei nackte Männer knien in der Dunkelheit auf dem Boden und schälen bedächtig Zwiebeln.

Man hört das Knistern und Knacken der Schalen, die konzentrierten Bewegungen reflektieren sich in Fetzen von Spiegelfolie, die wie dunkle Wasserlachen erscheinen. Eine unbestimmte Bedrohung liegt in der Luft in "Fearytale", der neuen Choreografie von Karel Vanek, die in der fast ausverkauften Brotfabrik ihre Uraufführung erlebte.

Es geht um Angst als Lebensgefühl, Furcht vor Verlusten, Trennungen, Einsamkeit und Tod. Um das Schreckens- und Erlösungswort "Ewigkeit", das der von der Schneekönigin in ihr eisiges Reich entführte kleine Junge nicht zusammenfügen kann in Andersens Märchen, das sich als "fairytale" durch das Stück zieht.

Die teuflischen Spiegelsplitter, die in der Erzählung den Menschen die Augen verblenden und ihre Herzen zu Eisklumpen erstarren lassen, werden sinnfällig in dem suggestiven Bühnenbild von Frank Chamier. Im Hintergrund hängen große transparente, mit einem feinen Gespinst überzogene Gebilde, die im Lichtdesign von Markus Becker aussehen wie zersprungene Spiegel oder Eisschollen und manchmal wie zerstörte Landschaften.

Es geht auch um die Angst beim Häuten der Zwiebel, die Freilegung des Inneren durch die Ablösung von schützenden Erinnerungsschichten über früheren Phasen des Daseins, wenn ab der Lebensmitte die Einsicht in die Endlichkeit der eigenen Zukunft schmerzlich bewusst wird. Die Tänzer Karel Vanek, Olaf Reinecke und Eric Trottier entwickeln daraus ungemein kraftvolle Szenen mit einer sehr präzisen, energiegeladenen Bewegungssprache.

Sie gehen in aggressiven Duetten und Trios auf einander los, zelebrieren in Slow-Motion Kampfsportübungen, prallen im Lauf aneinander, stürzen und verklammern sich. In schnellem Rhythmus wechseln sie von der vitalen Körperspannung zum passiven Getriebensein. Ganz kurz lässt Van?k das männlich Animalische aufscheinen, wenn er wie ein hilfloses Tier jaulend am vorderen Bühnenrand hockt.

Reinecke wird von Trottier in einer Szene zwischen Schrecken und Hingabe wie von einem Schatten verfolgt, versucht vergeblich, ihn abzuschütteln und wird von ihm hinterrücks zu Boden geworfen. Er geht nicht immer fair zu in der von Gewalt durchzogenen Männerwelt, in der jeder versucht, sich selbst zu behaupten.

Elektronisch verzerrte Klänge schwirren knirschen und zirpend durch den Raum, in dem überall Gefahr lauert. Aber wie im Märchen, das Guido Preuß, der das Stück gemeinsam mit Vanek konzipiert hat, im Hintergrund herbeizitiert, finden sie am Ende zusammen, legen sich gegenseitig die Hände vor Augen und Ohren und halten sich aneinander fest.

Die heißen Tränen, mit denen Andersens kleines Mädchen den Splitter aus dem Auge des Jungen wegschwemmt und sein gefrorenes Herz auftaut, lassen sie wie Kinder einen Moment lang glücklich herumtollen. Doch sie sind erwachsen geworden und deshalb dem Tod ein Stück näher gerückt. Die einstündige Aufführung berührt unüberwindliche Grundängste, bewahrt aber bei aller Düsternis einen unerschütterlichen Humor. Ein beeindruckendes Kunststück!

Die nächsten Vorstellungen am 19./23./24.3. um 20.00 Uhr und am 20.3. um 18.00 Uhr im Theater in der Brotfabrik. Karten unter der Rufnummer (02 28) 42 13 10.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Daniel Johannes Mayr dirigiert das Beethoven
Neue Musik zwischen Wohnwagen
Beethoven Orchester im BaseCampNeue Musik zwischen Wohnwagen
Zum Thema
Aus dem Ressort