35 Meter lange Rutsche am Museumsbau Bundeskunsthalle in Bonn wird zum Spielplatz

Bonn · Pünktlich zum Start des Bonner Museumsmeilenfests: Mit Überraschungen und einer fulminanten Mitmachshow startet das Ausstellungshaus sein „Playground Project“.

Die Absichten des Künstlers werden überbewertet“: In großen Lettern arbeitet sich das kokette Zitat von Michel Majerus hinein in ein überbordendes Riesenbild. Mit rund 400 Quadratmetern dürfte das gebogene Werk auf dem Museumsplatz eines der größten der Kunstgeschichte sein. Das unübersichtlichste ist es in jedem Fall. Es sei denn, man erarbeitet es sich mit dem Skateboard. Dann wird die Bild-Kunst auf der Halfpipe zum bizarr geschnittenen Actionfilm.

Der aktive, risikobereite Besucher ist in der Ausstellung „The Playground Project“ gefragt, mit der die Bundeskunsthalle pünktlich zum Start des Bonner Museumsmeilenfests (31. Mai bis 3. Juni) auf ein breites, experimentierfreudiges Publikum hofft. Auf die Outdoor-Variante des „Play-ground Projects“ auf dem Museumsplatz und dem Kunsthallendach folgt Mitte Juli eine dokumentierende Schau im Inneren, die die Phänomene Spielplatz und sozialer Spielraum wendet.

Dass Kunst sich nicht auf frontales und intellektuelles Konsumieren reduzieren lässt, sondern durchaus spielerische, interaktive Momente haben und multisensorische Erlebnisse zeitigen kann, ist als Idee nicht neu. In Bonn wird dieser Gedanke aber nun ausführlich und mit einer überschäumenden Fantasie weitergesponnen. Ob man sich in Christian Jankowskis Überseecontainer künstlerisch versucht, der koreanische Liebesfilme zeigt und ein Karaokestudio mit 3000 Schnulzen und Popsongs beinhaltet, oder sich hinter Jeppe Heins rauschendem Fontänenvorhang ein paar kühle, kontemplative Minuten und „pure Freude“ (Hein) gönnt: Der Bonner „Play-ground“ bietet eine fantastische Spielwiese für jedermann.

Carsten Höllers 35 Meter lange, gewundene Rutsche, die den Besucher vom Dach der Bundeskunsthalle in 13,60 Metern Höhe auf das Niveau des Museumsplatzes hinabrauschen lässt, ist natürlich nicht nur ein Spaßgerät. Körperliche Selbsterfahrung geht hier einher mit einer geradezu ornamentalen, skulpturalen Arabeskenform, die mit der Architektur Gustav Peichls einen Dialog auf Augenhöhe führt. Man kann auch über den Bonn-Berlin-Rutschbahneffekt sinnieren.

Besucher sind aufgefordert, mit Legosteinen zu spielen

Skulptural kommen auch Alvaro Urbanos in Beton gegossene Findlinge daher, von denen sich einer als Rückzugsraum mit Matratze anbietet, ein anderer als Gartengrill. Während diese Arbeit, wie auch die Tische von Ólafur Elíasson mit einer Tonne weißer Legosteine, den Besucher zum Mittun animieren, sind die keramischen, lebensgroßen „Gartenzwerge“ von Thomas Schütte absolut tabu. Seine gewählte Familienaufstellung von Figuren, die aus Oskar Schlemmers „Triadischem Ballett“ stammen könnten, ist sakrosankt.

Auch weitere Werke reizen eher zu Gedankenspielen: Etwa Andreas Schmittens düstere Architekturvision der Bundeskunsthalle als ruinöse Ritterburg oder Nevin Aladags Märchenparaphrase mit Kanonenkugeln – die zu Bowlingkugeln umfunktioniert wurden – auf einem gleichsam fliegenden Teppich von Tausendundeiner Nacht.

Die von Susanne Kleine schön und klug kuratierte Schau lotet alle denkbaren Playground-Spielarten aus. Partizipation etwa ist das große Thema bei Ina Webers edlen, grundsoliden Kickertischen mit dem Titel „Neubesetzung“ und kleinen Sitztribünen für Fußballfans. Eine Gendernote kommt in diese Männerdomäne durch das dezidiert weibliche Kickerpersonal auf dem Tisch. Politisch korrekt, kritisch und etwas platt sicherlich das Basketballfeld des spanischen Duos Llobet & Pons, das die Flüchtlingsthematik ventiliert: Ein Basketball-Board zeigt den Umriss von NRW mit fünf Körben, die den fünf Ankunftszentren für Flüchtlinge entsprechen; das andere Board zeigt den Umriss Spaniens, auf dem nur ein Korb zu sehen ist, der auch noch viel zu klein ist. Sprich: Spanien hält sich aus der Thematik heraus. Für das recht einseitige Spiel liegen Bälle bereit.

Pädagogisch ambitioniert lädt das Kollektiv Superflex zum Schaukeln in einen abwechslungsreichen Parcours mit Fernblick ein. Die Schaukeln sind nicht für Egoisten gedacht, sollten mit bis drei Menschen besetzt werden. Dass Spielen eine Schule fürs Leben und ein soziales Übungsfeld ist, demonstrieren zwei Hochglanz-Tischtennisplatten von Rirkrit Tiravanija, die sich auf den Künstler Július Koller beziehen, der einst Kunst und Politik in Beziehung setzte und das Einhalten von Regeln und den Gedanken des Fair Play als Basis gesellschaftlichen Handels sah. Man darf hier natürlich auch nur spielen.

Ganz ohne Regeln hingegen funktioniert Kristina Buchs geometrischer Linoleumboden, der als Spielfeld interpretiert werden kann und auf eine riesige Dartscheibe zuläuft. Der Besucher ist gehalten, sich selbst Regeln zu geben. „Die einzige Möglichkeit zu lernen, wie es ist, ein Mensch zu sein, ist das Spiel“, schreibt der Bonner Philosophieprofessor Markus Gabriel im Katalog. Auf dem „Playground“ macht das richtig Spaß.

Bundeskunsthalle; bis 28. Oktober. Di, Mi 10-21, Do-So 10-19 Uhr. Infos im Internet.

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