Mythen und Mysterien Bundeskunsthalle in Bonn zeigt Anselm Kiefer

BONN · Kaum ein Künstler polarisiert wie der Maler und Bildhauer Anselm Kiefer: Die Bundeskunsthalle zeigt die größte Ausstellung Kiefers seit dessen Abreise ins französische Exil. Deutsche Wunden, Mythen und Mysterien sind seine Themen.

Einer fehlte noch beim Schaulaufen der Kunst-Titanen und Superstars in der Bundeskunsthalle: Auf Gerhard Richter, Sigmar Polke und Georg Baselitz folgt nun Anselm Kiefer. Frauen sind im Bundes-Pantheon nicht vorgesehen. Mit Kiefer, der seit Jahrzehnten an Deutschland, insbesondere dessen dunkler Geschichte leidet, dem Land 1991 den Rücken kehrte, um in der riesigen stillgelegten Seidenfabrik La Ribaute in Barjac in Südfrankreich einen neuen Lebensmittelpunkt zu finden, betritt einer der schwierigsten Künstler des Landes die Bundesbühne.

Mit seinen zutiefst pathetischen, riesigen, auf Überwältigung zielenden, sehr physischen, sowohl mit Materialien zugepackten wie mit Inhalten aufgeladenen Werken polarisiert er wie kein zweiter. Er hat unangenehme Themen aufgegriffen und verschüttete und bewusst vergrabene Altlasten wieder zur Diskussion gestellt, beherrscht das Mega-Format wie kaum ein anderer. So loben die einen, die ihm den Goslarer Kaiserring und den Praemium Imperiale, den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und die nicht minder renommierte Leo-Baeck-Medaille verliehen.

[kein Linktext vorhanden]Anderen ist die dräuende Wucht des Vortrags, das Verkopfte und Pathetische aus über 40 Werkjahren ästhetische Buße genug. Es ist ein düsterer Kosmos, in den uns Kiefer entführt, so bleischwer und betonhart wie das Material. Sein Wasser ist brodelnde Ursuppe, finsteres Element und das Terrain blutiger Seeschlachten mit Fregatten und U-Booten zugleich. Nie ist Wasser Wasser. Kiefers Referenzsystem ist der Mythos oder die Galaxie. Der große historische Atem beschäftigt ihn. Unter der Apotheose im besten und der Apokalypse im schlimmsten Fall tut er's nicht. Das menschliche Maß ist Kiefers Ding nicht.

Bundeskunsthalle zeigt Anselm Kiefer
16 Bilder

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Und so steht der Besucher in der wie ein Hangar wirkenden großen Ausstellungshalle vor den selten unter drei Meter hohen und ein Vielfaches breiten, dick zugespachtelten und mit Materialien bestückten Gemälden. Der Besucher sieht verödete, verbrannte, erfrorene Landschaften und bleierne Himmel.

Er steht vor gestapelten Betontreppen und bleiernen Büchern. Oder er blickt zu der Wendeltreppe auf, die sich in befremdlicher Nähe zum Peichlschen Säulenkranz zwölf Meter in die Höhe schraubt. Die Stufen entlang ergießen sich endlos wirkende Bilderbänder mit babylonischen Turmansichten. Das Werk heißt "Bavel Balal Mabul", ist eines der neuesten Werke aus der Privatsammlung von Hans Grothe, der mit insgesamt 38 Werken die Bundeskunsthalle bespielen lässt.

Bonner Museumsgängern wird vieles geläufig sein: Man hat "Die große Fracht" (1985/95) mit dem bleiernen Düsenjäger und den verdorrten Sonnenblumen im Bild in bester Erinnerung, ebenso den Stahlcontainer "Volkszählung (Leviathan)" (1987-89) mit den 60 Millionen in Blei eingeschlagenen Erbsen. Und vieles mehr. Diese Werke waren mitunter Jahrzehnte im Kunstmuseum Bonn, bevor Grothe sie abzog.

Wandfüllende Arbeiten wie das 14-teilige "The Secret Life of Plants" waren erst selten komplett zu sehen: Die von dem Astrologen Robert Fludd abgeleitete Analogie zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos, die These, dass jede Pflanze auf Erden ihre Entsprechung im Sternenhimmel hat, findet in Kiefer einen begnadeten Interpreten. Keiner hat wie er auch das schwierige Terrain deutscher Geschichte buchstäblich beackert.

Wie sich bei "Böhmen liegt am Meer" (1996), bei dem von Celan inspirierten Bild "Jakobs himmlisches Blut" (2002) und "Schwarze Flocken" (2006), ebenfalls nach Celan, deutsche Historie und Verdrängungskunst materialisieren, geht unter die Haut. Verkohlte, rebenartige Holzelemente, die aus der Leinwand ragen, gemahnen an germanische Runen und das, was die Nazis daraus machten. Eine im wahrsten Sinne des Wortes aufwühlende und koloristisch raffinierte Malerei schafft das nötige Klima. Erdig. Schwer.

"Durchs Paradies haben sich schwere Pflüge gegraben. Oder waren es Panzer, die den Garten Eden so elend zerwühlten? Von Segen ist nichts mehr zu sehen. Krateröde." So beginnt Hans-Joachim Müllers wunderbarer Artikel in der "Zeit" zu Kiefers letzter großen Ausstellung in Deutschland, 1991 in der Berliner Nationalgalerie. Die Bundeskunsthalle hätte die Chance gehabt, nach über 20 Jahren mit einer Retrospektive von dem Kaliber Richter (1993), Polke (1997) und Baselitz (2004) nachzulegen.

Die Chance wurde vertan, indem man nicht breit recherchierte, insbesondere in den USA, das Frühwerk durchsuchte, den weiten Blick riskierte, sondern sich damit begnügte, den international gefeierten Maler Kiefer allein mit den Augen des Duisburger Sammlers Hans Grothe zu sehen und zu bewerten. Das ist zu wenig Sub-stanz und zu wenig exklusiv für den Anspruch der Bundeskunsthalle, denn Grothe zeigte das fast identische Programm gerade auch bei Burda in Baden-Baden.

Weitere Infos: Bundeskunsthalle, Friedrich-Ebert-Allee 4; bis 16. September. Di, Mi 10-21, Do-So 10-19 Uhr. Katalog (Wienand) 32 Euro

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