Konzert Champagner zum Abendmahl

Bonn · Das Beethoven Orchester spielt unter Stefan Blunier Musik von Bach, Schönberg und Mahler.

 Stefan Blunier dirigiert das Beethoven Orchester

Stefan Blunier dirigiert das Beethoven Orchester

Foto: Felix von Hagen

Perfekt wäre es gewesen, wenn im Hintergrund Walt Disneys bildmächtiger Animationsfilm „Fantasia“ gezeigt worden wäre. Doch Leopold Stokowskis Bearbeitung von Johann Sebastian Bachs Toccata und Fuge in d-Moll, der mit Sicherheit berühmtesten Orgelkomposition des Leiziger Thomaskantors, wirkt auch ohne Bilder ziemlich hollywoodesk, wie beim jüngsten Freitagskonzert des Beethoven Orchesters unter der Leitung von Stefan Blunier zu erleben war.

Stokowski, legendärer Chef des Philadelphia Orchestra, der 1977 im Alter von 95 Jahren starb, hatte die Komposition auf ein riesig besetztes Orchester übertragen und mit dessen Möglichkeiten das Werk in eine andere klangliche Sphäre katapultiert. Man kann den süffigen Sound als Kitsch betrachten. Mit den künstlerischen Idealen des protestantischen Kirchenmusikers hat diese Version jedenfalls sehr wenig zu tun, es hätte ihn im Gegenteil sicherlich befremdet und ist eher ein bisschen so, als würde beim Abendmahl Champagner ausgeschenkt. Aber man ist ja nicht in der Kirche, sondern in der Beethovenhalle. Und so hatten Musiker wie Publikum ihre Freude an dem prickelnden Genuss, den Blunier und das Beethoven Orchester servierten.

Um den kulinarischen Aspekt der Musik ging es Arnold Schönberg bei seiner Bearbeitung von Georg Friedrich Händels Concerto grosso op. 6,7 ganz gewiss nicht. Der Komponist wollte vielmehr der seiner Einschätzung nach eher dürftigen musikalischen Substanz des barocken Werkes ein wenig auf die Sprünge helfen. Sie mit ein paar zusätzlichen Noten ein bisschen dopen. Herausgekommen ist dabei ein sehr schönes und dichtes Konzert für Streichquartett und Orchester, für dessen Aufführung man das auf neuere Musik abonnierte Arditti Quartett gewonnen hatte. Das Kammermusik-Ensemble fand sich in der ungewohnten Situation, gemeinsam mit einem Orchester zu spielen, ganz wunderbar zurecht. Irvine Arditti, Ashot Sarkissjan, Ralf Ehlers und Lucas Fels fügten sich großartig in den Orchesterklang ein und zeigten trotzdem genug eigenes Profil, um als Solistenensemble Präsenz zu zeigen. Gleichwohl: Mit Händel hat die Bearbeitung Schönbergs am Ende ebenso wenig zu tun wie Stokowskis Arrangement mit Bach.

Dass die erste Sinfonie von Gustav Mahler seine am häufigsten aufgeführte ist, hat sicherlich auch damit zu tun, dass sie die fasslichste ist. Die aus dem stehenden Klang sich lösenden Naturlaute und die volksliedhafte Schlichtheit der Themenbildung im ersten Satz, der kaum weniger folkloristische Ländler im zweiten, der zunächst vom Solokontrabass intonierte und nach Moll gekehrte Bruder-Jakob-Kanon im dritten und das verzweifelt wilde Finale verleihen ihr einen klar umrissenen Charakter. Das Beethoven Orchester arbeitete ihn unter Bluniers Leitung mit sensibler Feinarbeit heraus, beeindruckend etwa im ersten Satz, wo die Musik immer wieder gleichsam zum Stillstand kommt. Ganz großartig auch die Blech-Einsätze im Finale. Das zeitigte Wirkung, hatte aber auch eine immense Tiefe.

Zugaben sind nach Mahler-Sinfonien zwar selten, aber Blunier hatte vorsichtshalber doch eine vorbereitet, um auf den Applaus reagieren zu können: Percy Graingers hemmungslos überzuckerte Bach-Bearbeitung „Blithe Bells“. Was wohl der gestrenge Herr Schönberg dazu gesagt hätte?

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