Lieder über das Leben Chicagos Markenzeichen: dynamischer Jazz-Rock

BONN · Die Band ist fast so bekannt wie die Stadt selbst. 1967 gründete der Pianist Robert Lamm mit sechs Freunden am Michigansee die Formation Chicago. Schaffenskraft und Popularität der Musiker sind ungebrochen. Im Juli gibt es ein Konzert in Bonn.

Als sich die Band 1967 gründete, nannte sie sich noch "Chicago Transit Authority", verzichtete dann aber auf Druck der Verkehrsbetriebe auf den langen Namen. Chicago gehört mit rund 122 Millionen verkauften Alben, mit fünf Nummer Eins-LPs und 21 Top-Ten-Singles zu den erfolgreichsten Bands.

Das amerikanische Billboard Magazin listet sie unter den "100 größten Künstlern aller Zeiten" auf Platz 13. Viele Songs sind praktisch jedem bekannt - darunter "If You Leave Me Now" (1976), der erfolgreichste Hit der Band, dann "25 Or 6 To 4" (1970) und "Hard To Say I'm Sorry" (1982). Die Jazz-Rock- und Pop-Band spielt am 6. Juli auf dem Bonner Kunst!Rasen. Mit dem Gründungsmitglied, Keyboarder, Sänger und Komponisten Robert Lamm (69) sprach Cem Akalin.

Neulich Abend, als ich von der Arbeit nach Hause fuhr, begegnete ich meiner Frau. Sie fuhr auf dem Rad direkt aus dem Sonnenuntergang heraus, und aus den Lautsprechern sang Chicago: "Just say you'll love me for the rest of your life."
Lamm: Ha, schön!

Sie haben in den 45 Jahren Ihres Bestehens eine Menge Soundtracks für unser Leben geschrieben.
Lamm: Das hören wir immer wieder. Das einzige, was sich bei solchen Gesprächen ändert, ist die Songauswahl. Aber es ist immer ein großes Kompliment für uns. Übrigens: Ich freue mich für dich!

Bitte?
Lamm: Ich weiß genau, was du meinst, denn ich empfinde genau dasselbe für meine Frau.

Sie haben Hits geschrieben, kleine Beobachtungen des Alltags. Da gibt es "Saturday in the Park". Sie sollen von der Atmosphäre im New Yorker Central Park dazu inspiriert worden sein. Sind Sie ein Typ, der seine Umwelt intensiv beobachtet?
Lamm: Menschen zu beobachten ist faszinierend. Viele Menschen gehen gern in den Zoo, um Tiere zu sehen. Aber der interessanteste Zoo ist doch der, den die Menschen selbst bilden. (lacht)

Sie achten also gerne auf die kleinen Dinge am Wegesrand?
Lamm: Das stimmt. In meinem Beruf ist man viel unterwegs und sieht viele Orte. Selbst wenn ich nicht auf Tour bin, erkunde ich gerne Gegenden, die ich noch nicht kenne. Ich bin fasziniert vom Unbekannten.

Kennen Sie Bonn?
Lamm: Ja, ich war schon mal in Bonn. Der Rhein! Ich war letzten Dezember drei Wochen lang in Berlin. Ich mag Großstädte. Sie eignen sich sehr gut, um Menschen zu beobachten. (lacht)

Das Stück "Does anybody really know what time it is?" gehört zu meinen Lieblingssongs. Es hat eigentlich nur diesen kleinen Inhalt, kurze Gedanken über die Zeit. Aber wann immer ich ihn höre, bekomme ich Glücksgefühle und Gänsehaut. Können Sie mir das erklären?
Lamm: Es ist schwierig zu erklären, wie meine Songs bei anderen Menschen wirken.

Der Song beginnt mit einem tollen Bläsersatz. Wie sind Sie bei diesem Song vorgegangen?
Lamm: Also, dieses Stück gehört zu meinen ersten Kompositionen. Es ist aus meiner, ich sag mal, "naiven Phase".

Ist das das Geheimnis?
Lamm: Ich habe damals einige Dinge ausprobiert, wie man auf interessante Art und Weise Stimmungen erzeugt, wie ich Geschichten erzählen kann. Zum Beispiel dieser Bläsersatz, der dir so gut gefällt: Ich hatte zuvor so etwas noch nie geschrieben, hatte aber das Glück, in einer Band zu spielen, die bereit war, das alles zu spielen. Das schöne an Musik ist doch, dass es ein Entstehungsprozess ist.

Wo wir bei Geheimnissen sind: Was, um Himmels Willen, bedeutet der Titel "25 or 6 to 4"? Eine Anspielung auf Drogen? Oder ein Code über die Suche nach spiritueller Offenbarung?
Lamm: Unglücklicherweise ist es nichts von alledem. (lacht) Als ich die musikalische Idee dafür hatte, saß ich am Keyboard und sah über Los Angeles hinweg, oben von den Hügeln am Sunset Strip, und es war in den frühen Morgenstunden. Der Song beschreibt meine mentale Situation, die Phrase "25 or 6 to 4" ist einfach eine Zeitangabe, also 3.35 Uhr oder 25 oder 26 Minuten vor vier. So einfach ist das.

Sie haben auch Stücke mit politischen Inhalten geschrieben. In "Someday" klagen Sie die Vorgänge rund um die gewalttätigen Proteste in Chicago anlässlich der Democratic National Convention 1968 an. Wie kam es zu dem Song?
Lamm: Wir haben uns damals große Sorgen über die politischen Krisen in der Welt gemacht. 1968 waren die USA in viele politische und soziale Missstände involviert, es gab den Vietnamkrieg. Ich war Teil einer großen Generation, die ein Zeichen setzen wollte. Wir wollten das nicht einfach akzeptieren. Und die Personen, die dafür verantwortlich waren, sollten zur Rede gestellt werden. Als Lyriker und Songwriter musste ich einfach beschreiben, was in uns vorging.

Es gibt einen weiteren berühmten Song zu diesen Vorgängen von Crosby, Stills, Nash & Young. Wie finden Sie den?
Lamm: Großartig! Politische und soziale Themen finden ihren Weg in die Kunst. Ich wünschte mir sehr viel mehr "Reportage" in der aktuellen Rockmusik.

Was meinen Sie?
Lamm: Für das neue Chicago-Album habe ich ein Stück geschrieben. "Naked in the Garden of Allah", darin geht es um dieses Spannungsverhältnis von Gewalt und Verwundbarkeit. Das ist ein Zustand, mit dem viele Menschen auf der Welt leben müssen. Wer thematisiert heute schon noch solche Themen?

Sie haben Ihre Karriere als innovative Jazz-Rock-Band begonnen, viele kennen Sie vor allem als Balladenkönige. Zu Unrecht?
Lamm: Dieses Etikett reduziert unsere Band in der Tat zu Unrecht. Schubladendenken lehne ich für jeden Künstler ab. Und ich fühle mich da in gewisser Weise angegriffen, wenn wir auf bestimmte Songs reduziert werden. Wir sind keine Könige für irgendwas, wir sind eine verdammt gute Band, wir sind eine Gruppe von guten Komponisten und Arrangeuren.

Chicago war immerhin die Lieblingsband von Jimi Hendrix.
Lamm: Das stimmt. (lacht) Ich fühle mich wohl mit dem, wer wir sind.

Sie und einige aus der Band sind schon seit gut 50 Jahren zusammen. Fast so lange wie die Rolling Stones. Was ist das Geheimnis?
Lamm: Das Geheimnis ist, dass wir uns einfach wohlfühlen, gemeinsam Musik zu machen. Das wird bei Mick und den anderen Stones nicht anders sein. Und Musik ist etwas, das dich herausfordert, dich auch mal quält, du kannst dir bei der Musik nie sicher sein. Musik ist wirklich eine wunderbare Möglichkeit, sich auszudrücken und zu kommunizieren. Das ist wirklich richtig cool!

Nach so langer Zeit, ist es wohl nicht einfach nur ein Job, Mitglied von Chicago zu sein. Seid ihr auch befreundet?
Lamm: Wir sind mehr als Freunde, wir sind wie Brüder. Nur dass wir nicht mehr miteinander ringen oder boxen, dafür sind wir schon zu erwachsen! (lacht)

Sie sind gerade auf einer ausgedehnten Tour. Im Juli kommt ein neues Album raus. Wie machen Sie das alles?
Lamm: Wir sind praktisch ständig auf Tour. Wie wir das anstellen, dann noch ein Album zu produzieren? Gestern hatten wir zum Beispiel einen freien Tag, das heißt Zeit zum Komponieren oder aufzunehmen. Außerdem erlaubt uns die heutige Technik, das ganze Aufnahmeequipment mitzuführen. Sind die Songs erst mal geschrieben, können wir an solchen freien Tagen immer wieder Teile der Songs aufnehmen. Manchmal ist es nur ein Instrument auf einer Aufnahmespur. Manchmal nehmen wir den Gesang auf oder die Bläsergruppe. Das ist unheimlich praktisch, wenn du das alles unterwegs machen kannst.

Verraten Sie uns etwas über das neue Album?
Lamm: Ich glaube, auf der EU-Fassung sind elf Stücke drauf. Sieben habe ich geschrieben, darunter "Naked in the Garden of Allah". Jason Scheff hat das Titelstück "Now" geschrieben, stark von Bläsern angetrieben. Es hat eine tolle Message, weil es darum geht, wie man trotz vieler schlechter Nachrichten, die auf uns niederprasseln, positiv auf Menschen zugehen kann.

Wie sieht das Programm für Bonn aus? Werdet ihr auch alte Hits aufführen?
Lamm: Oh, Mann, wir haben ein großes Repertoire und werden auf jeden Fall mehrere Stunden spielen. Das Konzert wird mit zwei Songs aus unserem allerersten Album starten, und es kommen Stücke aus allen Phasen unseres Wirkens. Ach, und der Song "Will you still love me", den du gehört hast, als du deine Frau auf dem Fahrrad trafst, den bringen wir auch.

Chicago

Die Band Chicago gründet sich 1967 in der gleichnamigen Stadt am Michigansee.

Markenzeichen ist ein dynamischer Jazz-Rock mit einer starken Präsenz der Bläsersektion.

Zu den ersten Hits zählt die Nummer "I'm A Man" (1970). Die Alben der Band tragen Nummern statt Titel.

1968 zieht Chicago nach Los Angeles und produziert Hit-Alben in Folge.

Spektakulär ist der Tod des Chicago-Gitarristen Terry Kath am 23. Januar 1978: Der Waffennarr hält sich eine Pistole, von der er annimmt, das sie nicht geladen ist, an den Kopf - und drückt ab.

Die aktuelle Formation besteht aus neun Musikern.

Konzerttipp: Chicago, Bonn, Kunst!Rasen, 6. Juli, 18 Uhr

Karten in den GA-Zweigstellen oder unter der Telefonnummer 0228/502010 und www.bonnticket.de

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