Kölner Schauspiel Christina Paulhofers Inszenierung von Hebbels Tragödie "Judith" überzeugt

KÖLN · Den möcht' ich sehen!", sagt Judith. Die gläubige Jüdin glüht geradezu in Vorfreude auf den Antichristen Holofernes, jenen heidnischen Feldherrn, der brandschatzt, vergewaltigt und nun ihre hebräische Stadt Bethulien zu vernichten droht. Das Ende ist aus der Bibel und aus der Kunstgeschichte (u.a. Botticelli) sattsam bekannt: Judith schläft mit dem Feind und enthauptet ihn hinterher. Straft sie ihn für ihre Lust?

 Julischka Eichel in der Kölner Inszenierung von Friedrich Hebbels "Judith".

Julischka Eichel in der Kölner Inszenierung von Friedrich Hebbels "Judith".

Foto: Klaus Lefebvre

Christina Paulhofer maßt sich im Depot 1 des Kölner Schauspiels nicht an, das Rätsel um Friedrich Hebbels einschüchternd schöne Titelheldin zu lösen, aber sie setzt markante Zeichen: Judiths traumatisch gescheiterte Entjungferung wirkt im Schrei ihres verhinderten Geliebten Manasses "Ich kann nicht!" so frisch wie damals. Und ebenso erschütternd wie ihr Hungerstreik-Hadern mit dem schweigenden Gott.

Der doppelt Verschmähten erscheint der brutale Götze für Momente durchaus faszinierend, auch wenn Robert Dölles Holofernes mit protziger Goldkette eher Pfau als Pitbull ist. Hebbel stellt seine Dialoge auf hohe Pathosstelzen, denen Jörg Kiefels Bühne den idealen Resonanzraum bietet: Aus dem bräunlichen Sand erhebt sich ein mächtiger Sockel, halb Sarkophag, halb Bunker.

Oben wird sich erbittert duelliert, im offenen Untergeschoss kauert sich in beeindruckenden Stillleben das hungernde, verängstigte und demoralisierte Volk. Dessen bärtiger, altersweiser Anführer (Heiner Stadelmann) wird zeitweise per Video ebenso auf den Sockel projiziert wie alle anderen - ein Verfahren, das zwar hinter Katie Mitchells raffinierten Bildströmen zurückbleibt, die visuelle Eindringlichkeit aber durchaus verstärkt.

Paulhofer pumpt viel physischen Druck in den Riesenraum. Durch den wummert ein zurückhaltender Techno-Beat (Musik: Sylvain Jacques), der erst in der fatalen Liebesnacht von Judith und Holofernes auf die Trommelfelle eindrischt. Kein schlechter Effekt, zugleich aber ein kleines Eingeständnis von Ratlosigkeit. Denn ausgerechnet der emotionale Starkstrom zwischen den Hauptfiguren fällt gelegentlich aus.

Dölle elektrisiert immer dann, wenn er den von Lebens- und Mordlust Besoffenen gibt, die Tuntigkeit mancher Szenen aber wirkt wie billige Theaterschminke, die er zum Glück oft mit rascher Macho-Geste wegwischt. Auch Julischka Eichels in sexueller Sehnsucht und heiligem Zorn lodernde Judith offenbart ihre Gefühlswirren eher gegenüber der Magd Mirza (unangestrengt präsent: Julia Riedler) und dem unseligen Verehrer Ephraim, den sie wegen mangelnden Märtyrermuts verstößt.

Da blitzt im Mädchen das Monster auf, während ausgerechnet das scharfsinnige Dialogscharmützel zwischen Judith und Holofernes in Indianertänzchen verkaspert wird. Dafür spiegelt eine wild wirbelnde Umarmung mit dem Feind perfekt die rauschhafte Hassliebe der Heldin.

So hat der Abend durchaus Licht und Schatten, bleibt aber bis ins stringent gestraffte Finale spannend. Und das nicht nur dank engagierter Hauptdarsteller. Von Thomas Müllers gedemütigtem Ephraim über Harald Haubers dämonischen "Stummen" bis zu dessen Kontrahenten Samaja (Seán McDonagh) gibt es etliche feine Charakterskizzen zu bestaunen. An diesem Ensemble wird Köln noch viel Freude haben.

Starker Beifall, Bravi besonders für Dölle und Eichel.

Info: Nächste Termine (Karten in den Ticket-Shops der GA-Zweigstellen):

  • 28./29. 11. und 7.12, je 19.30 Uhr
  • 8.12., 18 Uhr
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