Lesung in Bad Godesberg Christoph Ransmayr liest aus „Cox oder Der Lauf der Zeit“

BOnn · Am kommenden Donnerstag liest Christoph Ransmayr in der Bad Godesberger Redoute. Im Gepäck hat er seinen neuen Bestseller „Cox oder Der Lauf der Zeit“: Ein genialer Tüftler versucht darin, dem Kaiser von China die „Uhr aller Uhren“ zu konstruieren.

 Eine präzise Mechanik wollte der Uhrmacher Alister Cox eigentlich erfinden – eine, die das Verfließen der Zeit sekundengenau abmisst. Statt dessen sieht er sein ganzes Lebenswerk auf den Kopf gestellt: Der Gewaltherrscher Qianlong wünscht sich von Cox eine Uhr, die „die Zeit überwindet“; eine, die Lebenszeit und Ewigkeit erfasst.

Eine präzise Mechanik wollte der Uhrmacher Alister Cox eigentlich erfinden – eine, die das Verfließen der Zeit sekundengenau abmisst. Statt dessen sieht er sein ganzes Lebenswerk auf den Kopf gestellt: Der Gewaltherrscher Qianlong wünscht sich von Cox eine Uhr, die „die Zeit überwindet“; eine, die Lebenszeit und Ewigkeit erfasst.

Foto: picture alliance / dpa

Der Beginn dieses neuesten Romans von Christoph Ransmayr ist ungeheuerlich. Da nähert sich der Segler des berühmten englischen Uhrmachers Alister Cox nach einer stürmischen Reise um die halbe Welt endlich seinem Ziel. Cox will seinem neuen Auftraggeber, dem Kaiser von China, vorgeführt werden.

Da erkennt der geniale Automatenbauer des 18. Jahrhunderts durch die Nebelschwaden am Ufer nicht etwa die Details eines Willkommenfests, sondern einer grässlichen Verstümmelungsaktion: Es ist genau der Tag, „an dem der mächtigste Mann der Welt siebenundzwanzig Steuerbeamten und Wertpapierhändlern die Nasen abschneiden ließ“. Und Tausende Zeugen sind verdonnert, das ohrenbetäubende Schmerzgebrüll der Verurteilten und das geifernde Gelächter der Konkurrenz anzuhören, während sich Krähen der auf den Boden hüpfenden blutenden Beute Nase für Nase bemächtigen.

Ransmayr, Autor von Bestsellern wie „Die Schrecken des Eises und der Finsternis“ oder „Die letzte Welt“, ist mit seinem neuen Roman „Cox oder Der Lauf der Zeit“ wieder in unbekannte Gefilde aufgebrochen. Den chinesischen Alleinherrscher Qianlong seines Buches gab es im 18. Jahrhundert wirklich, ebenso den Uhrmacher Cox, der in der Realität James hieß, der den Kollegen Joseph Merlin an der Seite hatte und wirklich Uhren an Kaiser Qianlong lieferte.

Nur machten sich diese Briten nie auf die Reise ins sagenhafte Reich der Mitte. Sie arbeiteten aber sehr wohl eine Zeit lang an einer Art Perpetuum Mobile, dem unerfüllten Traum, eine Mechanik in Gang zu setzen, die sich ohne Energiezufuhr immer weiter bewegt. Und genau hier setzt Ransmayr mit Hilfe seiner schier berauschenden Sprache ein.

Die blassen, in der Verbotenen Stadt fröstelnden Europäer sollen dem gefürchteten Despoten keineswegs Spielzeuguhren bauen, über die die Kundschaft in der Heimat doch immer jubilierte. Nein, der zwangsweise für seine „Unfehlbarkeit und Gerechtigkeit“ hoch gelobte Qianlong will Uhren haben, die Aufschluss über das Wesen des Glücks, der Kindheit, der Liebe, aber auch über Krankheit und Sterben geben.

Cox soll schließlich die Uhr aller Uhren bauen, die die Zeit überwindet. Er sieht also plötzlich sein gesamtes Uhrmacherleben auf den Kopf gestellt, das danach strebte, die Intervalle in sekundengenaue, mechanische Schritte umzusetzen. Dem Kaiser geht es um nichts weniger als die Vermessung der Lebenszeit und dann der Ewigkeit. Und seine europäischen Gäste sind dem auf Gedeih und Verderb ausgeliefert, denn mit einem einzigen Wink kann der Massenmörder sie in den Tod schicken.

Das Faszinierende an diesem Plot ist: Cox, der geniale Tüftler, will der letztlich unerfüllbaren Aufgabe nicht nur aus Todesangst gerecht werden. Er nimmt die Herausforderung mit allem, was er hat, sofort an. Er ist ja, wie Ransmayr in Rückblenden schildert, selbst einer, der über Leichen geht und der nun hier in der Isolation die Schuld an seiner geliebten Frau und der verstorbenen Tochter büßt. Den vom Kaiser zuerst geforderten kindlichen Zeitlauf wird er in Form eines wunderbaren Segelschiffchens realisieren, das sich nur dann bewegt, wenn sich im Universum eines Kindes ein Hauch regt. Gespannt erwartet der Leser, wie sich Cox bei jedem weiteren Schritt schlagen wird.

Sicher kann Ransmayr hier wieder lustvoll erzählerisch philosophieren. Aber er hat gleichzeitig auch einen packenden Abenteuerroman inklusive einer zarten Liebesgeschichte geschrieben. Denn mit dem allwissenden Erzähler wird Cox, der Fremdling, auch auf Recherchereise in die schier unendliche Weite des Reichs der Mitte gehen. Er wird die unbegrenzte Macht und den jedem Vergleich spottenden Reichtum des Kaisers auf Schritt und Tritt zu spüren kriegen, obwohl er diesen einen eher kleinen und zierlichen Mann kaum einmal zu Gesicht bekommt.

Ransmayr erzählt damit auch die Geschichte einer heute fast unvorstellbaren Tyrannei Stalin'scher Größenordnung: Da glaubt einer, nicht nur das Schicksal aller bestimmen und sie jederzeit zerstören zu können, sondern auch Herrscher der Zeit werden zu wollen. Und nur ein Fremder, letztlich ein Eindringling, entwickelt überhaupt die Chuzpe, der Allgewalt des Größenwahnsinnigen etwas entgegensetzen zu wollen: nämlich seine Kunst.

Kritiker haben Ransmayr vorgeworfen, er übe sich in „Cox oder Der Lauf der Zeit“ in einer pathetischen, ja süßlichen Retro-Sprache, die heute nicht mehr in die Zeit passe, auch wenn er sich vordergründig ins 18. Jahrhundert begebe. Doch auch die meisten dieser Kritiker geben zu, sich nicht dem eigentümlichen Sog des Ransmayr'schen literarischen Idioms entziehen zu können. Und Seite auf Seite dann doch wissen zu wollen, wie Cox, das Mechanikgenie, beim letzten unerfüllbaren Auftrag vielleicht doch noch seinen Kopf aus der Schlinge ziehen wird.

Christoph Ransmayr: Cox oder Der Lauf der Zeit. S. Fischer, 304 S., 22 Euro – Lesung: Donnerstag, 16. Februar, 19.30 Uhr in der Redoute, Kurfürstenallee 1a. Veranstalter sind Parkbuchhandlung und Lese-Kultur Godesberg. Eintritt: 15 Euro. Karten über Tel. 0228/352191 oder info@parkbuchhandlung.de

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