"Christus an Rhein und Ruhr" im August Macke Haus

Ausstellung zeigt sakrale Kunst vom Beginn des 20. Jahrhunderts

  Heinrich Maria Davringhausen:  "Kreuzigungsszene I", 1913.

Heinrich Maria Davringhausen: "Kreuzigungsszene I", 1913.

Foto: Franz Fischer

Bonn. Unvorbereitet fällt der erste Blick auf die Darstellung existenzieller Trauer. Die Mutter beweint ihr totes Kind, dessen geschundenen und verkrampften Körper sie auf ihren Knien hält.

Otto Pankok folgt in der großformatigen Kohlezeichnung "Maria mit dem Toten" von 1933 zwar dem klassisch überlieferten Motiv der Pietà. Von entrückter Schönheit, wie sie sich etwa beim berühmten Vorbild von Michelangelo in Marias Gesicht, dem Faltenwurf ihres Kleides oder dem Körper des Toten spiegelt, fehlt hier jede Spur. Pankok konfrontiert den Betrachter stattdessen mit hässlichen Wunden, verzerrter Mimik und tiefschwarzem Hintergrund.

Der Auftakt zur Ausstellung "Christus an Rhein und Ruhr" im August Macke Haus hätte treffender nicht gewählt werden können. Otto Pankoks Pietà zeigt die Suche nach neuen Leitbildern zu Beginn des 20. Jahrhunderts, in der sich die Künstler verstärkt spirituellen und christlichen Themen zuwenden und diese in eine zeitgenössische Bildsprache umsetzen.

Dass gerade das Rheinland mit seiner katholischen Tradition zur Wiederentdeckung des Sakralen zwischen 1910 und 1930 beitrug und eine Fülle an christlichen Themen in Kunst und Literatur hervorbrachte, haben die beiden Kuratorinnen der Ausstellung anschaulich erarbeitet. Gertrude Cepl-Kaufmann und Jasmin Grande spürten mit den ausgestellten 80 Werken von 25 Künstlern unterschiedliche Facetten des Themas auf.

Dazu dokumentiert der Katalog mit Aufsätzen etwa zur "Gottessuche in der Literatur" oder zum westdeutschen Sakralbau, wie sich die Hinwendung zum Christentum auch auf anderen künstlerischen Gebieten niederschlug.

Die Ausstellung selbst folgt einer gut durchdachten Dramaturgie, die im Erdgeschoss in die christliche Leidensthematik einführt. Neben weiteren Pietà-Motiven, wie dem Bronzeguss-Relief von Ewald Mataré, der die beiden Figuren als Kreuzform stilisiert, taucht die Kreuzigungsszene immer wieder als Metapher des Leidens und zugleich als Heilssymbol auf.

Auch in ungewohnter Form, wie etwa bei Emil Zuppke, der in einem Linolschnitt von 1927 mit dem Titel "Ehe" Mann und Frau nebeneinander gekreuzigt darstellt. Heinrich Nauen rückt 1921 seinen "Christus am Ölberg" mit intensiv rotem Gewand vor nachtblauem Himmel monumental ins Bildzentrum. Der einsame Christus wird zur Identifikationsfigur.

Vor allem seit der erschütternden Erfahrung des Ersten Weltkrieges suchen die Künstler, von sich selbst und der Zeit entfremdet, nach Symbolen für eine neue Menschlichkeit, die den tiefgreifenden Zeitereignissen einen Sinn zu geben vermögen. Die Darstellung verlorener Ideale und Werte muss nicht zwangsläufig der tradierten christlichen Symbolik folgen.

Der "Christus im Ruhrgebiet" im Glasbild von Franz W. Seiwert, der in der Bildsprache der Neuen Sachlichkeit einer Gruppe von Arbeitern den Weg weist, hat sich vom traditionellen Christusbild entfernt. Mit der Verbindung von christlicher Urbotschaft und klassenkämpferischer Politik steht Seiwert nicht alleine.

Insbesondere das expressionistische Theater bringt die Utopie einer herrschafts- und klassenlosen Gesellschaft auf die Bühne. "Aus dem Musentempel Theater wurde eine auf Gemeinschaft zielende Erweckungskirche. Jedes Bühnenbild ein Hochaltar", schreibt Gerald Pehnt im Katalog. In der Ausstellung ist dies an Bühnenbildern aus futuristischen Stücken wie "Gas" oder "Maschinist Hopkins" nachzuvollziehen.

Mit einer besonderen Art der Utopie endet das vielschichtige Zeitpanorama schließlich im Dachgeschoss. Man ist in Mackes ehemaligem Atelier angekommen, auf dessen Wand er mit seinem Freund Franz Marc 1912 "Adam und Eva im Paradies" malte.

Während das Wandgemälde nur noch in einer Reproduktion zu sehen ist, konnte ein Ölbild von Carlo Mense mit gleichem Titel von 1919 im Original aus dem Kunstmuseum Bonn entliehen werden. In einer wunderbar naiven Auffassung von Landschaft und Figuren platziert Mense die beiden ersten Menschen in eine ferne, zeitlose Welt vor dem Sündenfall.

August Macke Haus, Bornheimer Straße 96, bis 13. September, Di.-Fr 14.30-18, Sa, So 11-17 Uhr, Katalog 25 Euro; kostenlose Führungen sonntags 11.30 Uhr.

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