Stück von Philippe Decouflé "Codex" eröffnet die Mai-Tanztage in der Bonner Oper

Bonn · Philippe Decouflé, einer der eigenwilligsten Choreografen Frankreichs, hat ein Faible für knackige Ein-Wort-Titel: "Codex", "Shazam!", "Sombreros", "Désirs" und viele andere. Sein neues Stück heißt "Octopus", weil es ein Opus für acht Tänzer ist. Und seine Fangarme greifen weit in die Sinnenfreude und Überraschungslust der Zuschauer hinein.

 Aktion und Gender-Ironie: Szene aus "Octopus".

Aktion und Gender-Ironie: Szene aus "Octopus".

Foto: Oper Bonn

Mit "Octopus" eröffnet die Oper Bonn am Mittwoch ihr Festival "Mai-Tanztage". "Octopus" ist ein schillerndes Unternehmen, spielerisch leicht und abgründig raffiniert, sehr großstädtisch, sehr virtuos, mit hinreißenden Tänzern und zwei Musikern, die ein ganzes Orchester sind. "Octopus" erzählt keine Geschichte, sondern einen State of Mind, das subjektive Vexierbild eines objektiven Zustands, beflügelt von der Sehnsucht nach Schönheit und Ekstase.

Wenn ein Mann eine lange Peitsche schwingt und jeder Schlag auf der Leinwand zu geometrischen Formen mutiert, schweben zwei Frauen unter der Decke, die gleichzeitig an Zirkus wie an Bondage denken lassen; wenn Männer und Frauen mit nackten Beinen in High Heels mit Hüftschwung und Kreuzschritt über die Bühne marschieren, dann besteht ihr Körper nur aus Bein, und jedes ist mindestens zwei Meter lang.

Es sind dräuende Bilder, bizarr und beunruhigend, und daneben gibt es so kindlich staunende wie das von der Frau mit den vielen Armen, die beim Abgang ihr nacktes Hinterteil offenbart - was sie rückwirkend zum titelgebenden Oktopus machen könnte (nur dass ihr Hintern natürlich viel schöner ist als jeder Polypenkörper). Solche Blitzassoziationen provoziert das Stück zuhauf, und der Text, den die Shivaarmige Clemence Galliard hier vorträgt, ach was: jubiliert, funktioniert nach dem gleichen Prinzip wie die getanzte Gedankenkette des Abends, die das Alltägliche ambivalent macht und das Normale ins Monströse kippt,

Der Text stammt von Ghérassim Luca und ist in seiner wilden Absurdität so "hermetisch offen" und "schwebend treibend" wie das Stück.Wie immer lässt sich Decouflé nicht so einfach festlegen. Er hat viele Facetten, kann trivial sein und todtraurig, verschmitzt und abgefeimt - nur eines ist er immer: neugierig.

Neugierig auf die Welt, auf seine Tänzer, seine Fantasie und deren Sprünge. Kein anderer Choreograf hat so unterschiedliche Arbeitsfelder beackert wie er, vom Werbeclip bis zur Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele, von gigantischen Strassenparaden bis zum intimen Strip-Spektakel im Crazy Horse.

Das Showelement spielt auch bei "Octopus" eine Rolle, Musik, Tanz, Multimedia - alles ist aufeinander abgestimmt in diesem überdrehten Theatermosaik mit glänzenden Steinchen und ein paar stumpfen. Manchmal nervt der Eklektizismus der Musik, aber das geht vorbei, denn der lange, heiße Atem des Abends versöhnt mit allem und treibt alles weiter. Die Tänzer und Musiker sind großartig, und der Sänger Labyala Nosfell, der über sämtliche hohen und tiefen Töne der menschlichen Stimme verfügt, kommt einer mittleren Sensation gleich.

Zu Beginn werden die einzelnen Tänzer und Tänzerinnen in Soli und Duos vorgestellt, später gibt es viele Ensembleszenen in rasantem Tempo, mit fliegenden Armen, rollenden Körpern und flinken Füssen. Und immer wieder das Spiel mit der Ambivalenz: eine Braut tritt auf in weißer Robe und entpuppt sich als Bräutigam im schwarzen Frack, die Körper werden mit ausgefuchster Beleuchtung in Einzelteile zerlegt: nur Beine, nur Torsi oder, in Großaufnahme auf der Leinwand, nur Zungen, die miteinander flirten. Viel Haut zwischen schwarzglänzenden Slips, viel zupackende Hände und verträumte Seelen - es ist eine sinnlich-wollüstige Revue aus Gender-Ironie und begehrlichem Blick.

Mai-Tanztage in der Oper

  • 9. und 10. Mai, 19.30 Uhr: Compagnie DCA von Philippe Decouflé - "Octopus"
  • 17. Mai, 18 Uhr, und 18. Mai, 19.30 Uhr: Compagnie Marie Chouinard - "bODY_rEMIX/ gOLDBERG_vARIATIONS"
  • 22. und 23. Mai, 19.30 Uhr: Alvin Aileys American Dance Theater II - "The Hunt/Revelations"
  • 30. und 31. Mai, 19.30 Uhr: Les Grand Ballets Canadiens de Montréal - "Leonce und Lena".

Karten in den GA-Zweigstellen oder bei bonnticket.de.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Neue Musik zwischen Wohnwagen
Beethoven Orchester im BaseCamp Neue Musik zwischen Wohnwagen
Zum Thema
Ein Porträt Venedigs am Piano
Iiro Rantala und Fiona Grond beim Jazzfest Ein Porträt Venedigs am Piano
Aus dem Ressort