Kunstmuseum Bonn Collagen der Täuschung

Bonn · Kaum zu glauben, dass dieser bedeutende Werkkomplex, den Marcel Odenbach über die letzten vier Jahrzehnte neben seinen Videoarbeiten kontinuierlich entwickelt hat, in Deutschland bisher so gut wie gar nicht registriert worden ist. Jetzt hat sich das Kunstmuseum Bonn der Sache angenommen und rollt mit der Ausstellung über Odenbachs Papierarbeiten zwischen 1975 und 2013 jedem den roten Teppich aus, der diese Wahrnehmungslücke schließen möchte.

 Marcel Odenbach vor seinem Werk "Familienfeier" ( 2011/12): Das Bild zeigt die Terrasse auf dem Obersalzberg, dem Feriendomizil Adolf Hitlers.

Marcel Odenbach vor seinem Werk "Familienfeier" ( 2011/12): Das Bild zeigt die Terrasse auf dem Obersalzberg, dem Feriendomizil Adolf Hitlers.

Foto: Gudrun von Schoenebeck

Dieses Angebot sollte man unbedingt wahrnehmen, denn die Schau ist großartig. Einer chronologischen und thematischen Logik folgend, breitet sich die Welt des inzwischen 60-jährigen, in Köln geborenen Marcel Odenbach vor dem Besucher aus. Sie ist, immer schon gewesen, ebenso persönlich wie gesellschaftspolitisch motiviert, ironisch gebrochen und generell bildkritisch. Es geht los bei den frühen Zeichnungen der 70er Jahre, in denen der Künstler in tagebuchartigen Aufzeichnungen - bildlich und schriftlich - seinen Bezug zu den Dingen und Menschen analysiert. Etwa in der 18-teiligen Serie "Kaffeetassen" von 1977, wo man erfährt, dass für Odenbach "der Kaffee das Metronom des Rhythmuses meiner Nervosität" ist.

1977, während einer Performance auf der documenta, wendet sich der Künstler demonstrativ von der Zeichnung ab und erklärt sie für "abgelegt". Als Entwürfe für Videoinstallationen und auch als eigene Sprach-Bilder bleiben sie aber auch in den 80er Jahren wichtiger Bestandteil der Arbeit. Nun verändert sich kontinuierlich das Verhältnis von Bild und Text, von collagierten und gemalten oder gezeichneten Elementen. Der Text rückt in den Hintergrund, und die Collage bestimmt das Bild, in dem schließlich jede zeichnerische Spur fehlt.

Grundlage für die verfeinerte Bildtechnik sind Fotos aus Magazinen oder Zeitungen, die Odenbach ausschneidet, zu Collagen zusammenfügt, fotografiert, fotokopiert und einfärbt. Sie sind das Material-Reservoir, aus denen sich Schnipsel für Schnipsel Form und Inhalt der großformatigen Collagen zusammenfügen. So entsteht eine Fernwirkung, die beim Näherkommen unendlich viele Detailinformationen enthüllt, die manchmal eine völlig andere Geschichte erzählen als die des ersten Blickes. Wie im Bild "Familienfeier", einem Idyll auf einer Terrasse mit karierten Sitzkissen vor malerischer Bergkulisse. Der harmlos wirkende Ort entpuppt sich als Feriendomizil Hitlers auf dem Obersalzberg, dessen nationalsozialistische Untermalung in jedem kleinen Collagedetail zu finden ist.

Neben der deutschen Geschichte ist es auch immer wieder Afrika, wo Odenbach in Ghana zeitweise lebt, das im Themenspektrum des Künstlers eine besondere Rolle spielt. Das Porträt des kongolesischen Präsidenten Joseph Kabila, eine Gartenanlage in Namibia, oder ein erlegtes Zebra haben eines gemeinsam: Auch hier gibt es zu jedem Bild einen Subtext, der sich bei genauer Betrachtung langsam herausschält und - paradox genug - aus den Bildteilen selbst besteht. Hilfreich ist, wenn man den Ratschlag von Kurator Christoph Schreier befolgt und den Werken "nicht allzu naiv und unreflektiert" begegnet.

Kunstmuseum Bonn, Friedrich-Ebert-Allee 2, bis 5. Januar 2014, Di-So 11-18, Mi 11-21 Uhr. Katalog: Kerber Verlag, 32 Euro. Führung mit Christoph Schreier am 22. September um 11 Uhr.

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