Spielplan 2023/24 Das bietet das Bonner Schauspiel in diesem und nächstem Jahr
Bonn · Von Böll bis Plenzdorf und H. G. Wells buchstabiert sich der Spielplan des Bonner Schauspiels in der neuen Spielzeit. Dazu zählen etliche Klassiker und drei Uraufführungen.
Schön, wenn sich das Theater selbst auf die Bühne bringt. Und auch das eigene Scheitern zum Thema eines Stückes wird wie in der wunderbaren Komödie „Der nackte Wahnsinn“ von Altmeister Michael Frayn, in der sich alles um eine Inszenierung dreht, mit der eine Truppe auf Tournee gehen will. Es geht schief, was nur schief gehen kann. Und es wird immer schlimmer (Regie Sascha Hawemann). Streng genommen passt diese Komödie, die Anfang September im Bonner Schauspiel Premiere hat, nicht in die Agenda von Schauspielchef Jens Groß, dessen Programmatik gewöhnlich auf den Säulen Literaturpflege, Angebundenheit an Bonn, Nachhaltigkeit, Klima und Partizipation basiert und der gerne den Fokus auf Themen „zwischen Klimakatastrophe sowie Erderwärmung und kapitalistische Kälte“ richtet.
Da bietet „Von Mäusen und Menschen“ nach einem Roman von John Steinbeck das geeignete Szenario für den Spielzeitauftakt am Schauspiel. Simon Solberg, Bonner Hausregisseur, der zuletzt „Peer Gynt“ realisierte, bringt diesen Stoff aus der großen Depression in den USA, dieses Epos über große Hoffnungen und zerplatzte Träume, auf die Bühne.
Ebenfalls eine Romanadaption – es sind insgesamt fünf in dieser Spielzeit – ist „Fabian oder der Gang vor die Hunde“ nach Erich Kästner. Ab 1930 geschrieben, erschien der Roman, ein pralles Sittenbild der Weimarer Republik, 1931 in einer zensierten Form. Toll verfilmt wurde der Stoff von Dominik Graf mit Tom Schilling und Saskia Rosendahl. In Bonn inszeniert Martin Laberenz. Es ist sein Bonn-Debüt.
Bleiben wir bei den Klassikern. Zum Beispiel Max Frischs Katalog mit Fragen wie „Möchten Sie unsterblich sein?“ oder „Gibt es einen klassenlosen Humor?“, Teil von zwölf Fragebögen, die der Autor 1966 bis 1971 zu verschiedenen Themen verfasste. Karin Plötner setzt sie bei ihrem Bonner Debüt für die Werkstatt um, als „Einladung für ein gemeinsames Nachdenken“, so Dramaturgin Carmen Wolfram. Auch die junge Regisseurin Sarah Kurze vom Deutschen Theater Berlin feiert ihr Bonn-Debüt und deutet Georg Büchners 1836 begonnenes Dramenfragment „Woyzeck“ über Geriebene, Unterdrücker und Unterdrückte – Stichwort: „Jeder Mensch ist ein Abgrund“ – fürs Bonner Schauspiel. Weiterer Klassiker im Schauspiel: Charlotte Sprenger bringt Henrik Ibsens noch immer verstörendes Ehe- und Emanzipationsdrama „Nora“ auf die Bühne. In eine andere Zeit und Kultur transponiert, um einige Themenkomplexe erweitert, erscheint das Schicksal einer Frau in Yade Yasemin Önders Roman „Wir wissen, wir könnten, und fallen synchron“ (2022), den die alevitisch-kurdische Regisseurin Emel Aydogdu für die Werkstatt umsetzt.
„Die Kinder“ beschäftigt sich mit der Ökokatastrophe
Quasi als Kontrast zu „Woyzek“ folgt im Spielplan Ulrich Plenzdorfs berühmtes Beziehungsdrama, die Filmerzählung „Die Legende von Paul und Paula“, 1973 in der DDR mit Angelika Domröse und Wilfried Glatzeder verfilmt. Roland Riebeling, der zuletzt „Der Haken“ in Bonn realisierte, führt Regie. Das große Thema Liebe kommt mit „Bilder deiner großen Liebe“ nach dem Romanfragment von Wolfgang Herrndorf in die Werkstatt. Partizipativ wird es mit dem Stück „Die Zeitmaschine“ nach dem Roman von H. G. Wells, das Dominic Friedel erarbeitet, und mit der Uraufführung „Treibgut des Erinnerns“ von Verena Regensburger. Ins Reich der Utopien entführt uns ebenfalls die Uraufführung „Archetopia“ von Hausregisseur Simon Solberg.
Ökokatastrophe und die Verantwortung für das, was wir unseren Kindern zumuten und überlassen: Darum kreist Lucy Kirkwoods Kammerspiel „Die Kinder“, über das die Financial Times schrieb: „In leichtfüßigen Dialogen und mit finsterem Humor verhandelt Kirkwood große Themen – Klimawandel, endliche Ressourcen, Alter, Tod – und stellt unbequeme Fragen: Welche Verpflichtung haben wir unseren Kindern gegenüber? Und wie kindisch benehmen wir uns dabei selbst?“ Jan Neumann (zuletzt in Bonn. „Der Sturm“) führt Regie. Und wo bleibt in Groß‘ Programm der Bonn-Bezug? Der kommt mit der Uraufführung nach Heinrich Bölls „Frauen vor Flusslandschaft/Flut“ mit einem Postskriptum von John von Düffel. Groß selbst inszeniert dieses feine, sarkastische Stöffchen über die Bonner Republik und die Politiker- und Bankiersgattinnen zwischen Bonn und Bad Godesberg. Während die Politiker lediglich regieren, herrschen die Bankiers, heißt es in Bölls letztem Werk.