50 Jahre Jugendfotopreis Das Kaleidoskop der Republik im LVR Landesmuseum

Bonn · Das LVR Landesmuseum blickt unter dem Titel "Für immer jung" zurück auf 50 Jahre Jugendfotopreis. Aus dem etwa 10.000 Bilder umfassenden Fundus des Jugendfotopreises zeigt das Bonner Landesmuseum eine Auswahl von 300 Arbeiten quer durch die Jahre und Jahrzehnte sowie Themenfelder.

Jürgen Hebestreit fotografierte 1968 seine Kommilitonen Hannelore Wiese-Böntgen und Jürgen Klauke auf dem Motorrad.

Jürgen Hebestreit fotografierte 1968 seine Kommilitonen Hannelore Wiese-Böntgen und Jürgen Klauke auf dem Motorrad.

Foto: LVR

Rainer Barzel, Anneliese Rothenberger oder Roy Black: So wollten sie nicht werden, die jungen Wilden in Köln. Und so fuhren sie nach Kalk, um auf dem Kultmotorrad "Horex" ein Fotoshooting im Geist des Films "Easy Rider" zu veranstalten.

Mit dem kleinen Unterschied, dass die Hollywoodstars und Rebellen-Ikonen Dennis Hopper und Peter Fonda 1969 über die Kinoleinwände brausten, während die Motorradszene in Köln-Kalk 1968 entstand: Jürgen Hebestreit erzählt noch heute schmunzelnd, wie er zwei Kommilitonen von den Kölner Werkschulen, die Bildhauerin Hannelore Wiese-Böntgen und den Fotografen Jürgen Klauke, mit der "Horex" und coolen Pilotenbrillen vor die Kamera brachte und so das Lebensgefühl der 68er in Köln auf Fotopapier bannte.

Hebestreit strahlt, wenn er die Kontaktabzüge zeigt: Er hat damals viele Aufnahmen von der seinen Freunden mit der "Horex" gemacht. Im Landesmuseum zeigte er sie am Dienstag. Und Hannelore Wiese-Böntgen, die auch gekommen war, lächelt so unbeschwert und frisch, als sei das Foto gerade vorgestern entstanden. Und als gelte es, das Motto der Schau zu unterstreichen: "Für immer jung".

Hebestreit, damals 22, bekam für sein Bild 1968 den Jugendfotopreis, die Initialzündung zu einer Fotografenkarriere. Die deutsche Fotoszene ist voll von Talenten, die durch den Preis einen entscheidenden Anschub bekamen.

Im Dunstkreis der Kölner Photokina kam in den 50er Jahren die Idee eines Jugendfotopreises auf. Ins Leben gerufen hat ihn 1961 L. Fritz Gruber. Im dreistelligen Bereich bewegten sich anfangs die Bewerberzahlen, bei der Auslobung 2012 schickten rund 6000 junge Fotografen zwischen vier und 25 Jahren insgesamt 30.000 Arbeiten ein.

Aus dem etwa 10.000 Bilder umfassenden Fundus des Jugendfotopreises, der seit im Deutschen Historischen Museum Berlin lagert, zeigt das Bonner Landesmuseum eine Auswahl von 300 Arbeiten quer durch die Jahre und Jahrzehnte sowie Themenfelder. Es ist eine einzigartige Sammlung, die das Zeitgefühl von den Wirtschaftswunderjahren über die Zeit der Jugendrevolte, von der Wiedervereinigung bis zum Aufbruch in eine medial breiter gelagerte und digital dokumentierte Wirklichkeit spiegelt.

Der Witz dabei: Die Themen wechseln gar nicht so stark: Familie und Clique, Anpassung und Rebellion, Liebe und Wut, der eigene Körper und der des anderen. Zu allen Zeiten haben diese Motive junge Fotografen gefesselt. Der Doku-Blick auf fremde Gesellschaften und soziale Randgruppen faszinierte ebenso wie das künstlerische Experiment, das Spielen mit Ausschnitt, Timing und Effekten.

So ähnlich die Themen sind, so unterschiedlich ist die Bildsprache und so durchdacht manche Position. Die Nouvelle Vague etwa stand Pate bei den oft melancholischen, poetischen Schwarz-Weiß-Fotos der ersten Wettbewerbsjahre.

Ende der 60er Jahre setzt eine starke Politisierung ein, die sich den Jugendprotesten, der sexuellen Libertinage und dem flippigen Zeitgeist der Hippie-Ära widmet, gemäß dem Motto der US-Amerikanischen Anarchistin Emma Goldman: "Wenn ich nicht tanzen kann, ist das nicht meine Revolution". Neben dem politischen Kollektiv findet auch das ganz private Leben etwa mit einer Contergan-erkrankung seinen Weg in die Kamera.

Die Welt der letzten 50 Jahre mit den Augen Jugendlicher zu sehen: Diese Chance bietet die ausgezeichnete Schau "Für immer jung". Es ist eine Konfrontation mit Themen, die vielen jungen Menschen Angst machen: Das Dahinvegetieren von Zoo-Tieren, Atomkraft, Umweltverschmutzung und die Hilflosigkeit des Alters, das Leben auf der Straße oder in Saus und Braus, die Ambivalenz von Model-Schönheitsideal und Bulimie, Machoideal und der Rollen-Not des Pubertierenden. "Für immer jung" ist ein Kaleidoskop zu 50 Jahren Bundesrepublik.

LVR Landesmuseum, Colmant-straße; bis 12. August; Di-Fr 11-18, Sa 13-18 Uhr. Katalog 25,80 Euro.

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