"Köln 5 Uhr 30" Das nackte Bild einer Stadt

KÖLN · Man kennt seine atmosphärischen Kölnbilder, seine Ruhrgebiets-Reportagen, seine verliebten Paare und intensiven Porträts: Was aber Chargesheimer (1924 bis 1977) im Jahr 1970 vorlegte, zeigte eine ganz neue Facette des Werks.

 Kölner Ansichten im ersten Tageslicht: (von links) Komödienstraße, Neumarkt und Zeughausstraße. Chargesheimers Fotos erschienen 1970 im Bildband "Köln 5 Uhr 30".

Kölner Ansichten im ersten Tageslicht: (von links) Komödienstraße, Neumarkt und Zeughausstraße. Chargesheimers Fotos erschienen 1970 im Bildband "Köln 5 Uhr 30".

Foto: C) 2015 MUSEUM LUDWIG, KÖLN, BEREITGESTELLT VON DER FEROZ GALERIE, BONN

Der Bildband "Köln 5 Uhr 30" brach mit allen Konventionen.

Der Fotograf hat nicht nur die unattraktivsten Ecken der Domstadt festgehalten, jede Bausünde, viele Kriegsfolgen und betonbrutalistischen Neubauten dokumentiert, sondern auch den fröhlichen Rheinländer, den er so gerne seine Bilderwelt bevölkern ließ, ausgesperrt. "Köln 5 Uhr 30" ist härteste Städte-Doku, jedes Blatt eine Zumutung, eine fantastisch klare Bestandsaufnahme.

Seine 64 Schwarz-Weiß-Aufnahmen umfassende radikale Hommage zeigt leere Plätze und trostlose Fassaden, entlarvende Blickachsen und Ensembles, die man so nicht für möglich gehalten hätte. Chargesheimers damals bei Dumont erschienener Band ist längst eine bibliophile Rarität, wird antiquarisch für rund tausend Euro gehandelt.

Das Revolutionäre an Chargesheimers Serie war sicherlich das klare Konzept - immer gleiche Brennweite, immer gleiche Stativhöhe - mit dem er sich der Stadt nähert. Das Ziel formulierte er so: "größtmögliche Objektivität". "Das nackte Bild einer Stadt - Umwelt und Heimat ihrer Bewohner - soll transparent werden, quasi ein Röntgenbild zur Diagnose", schrieb er im Vorwort zu "Köln 5 Uhr 30".

L. Fritz Gruber, Initiator der Bilderschauen der Photokina, lud Chargesheimer ein, sein Buchprojekt als begehbare Installation mit überlebensgroßen Fototafeln in der Kölner Messe zu inszenieren. Die Pläne sind nicht mehr erhalten, es gibt eine Handvoll Fotografien, die das Projekt "Köln 5 Uhr 30" bei der Photokina dokumentieren.

Der Bonner Galerist Julian Sander, dessen Großvater für Chargesheimer die Abzüge gemacht hatte und dessen Vater für das Photokina-Projekt die Repros schuf, hat jene legendäre Kölner Ausstellung von 1970 im Modell nachgebaut und präsentiert außerdem die Fotos aus dem Buch. Der Besucher der Photokina konnte quasi durch sein Köln anno 1970 laufen - das Modell gibt einen Eindruck davon.

Eingebettet wird Sanders Rekonstruktion in eine kleine Retrospektive von Chargesheimers Fotokunst (Preise zwischen 3500 und 20 000 Euro), der 1924 als Carl-Heinz Hargesheimer in Köln geboren wurde.

Die Schau zeigt mit Adenauer, Kölsch und Kirche, allesamt Aufnahmen des Jahres 1959, einen typischen Kölner Dreiklang, geht dann aber in die Tiefe. Zu sehen ist der begnadete Porträtist, Schöpfer des berühmten düsteren Adenauer-Porträts von 1956, das Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein für einen Beitrag kurz vor der Bundestagswahl 1957 in Auftrag gegeben hatte.

So wollte Augstein den "Alten" sehen, mit einem "in Granit gemeißelten, maskenhaften Antlitz", das von politischer Versteinerung und Vergreisung erzählte". In der Ausstellung sieht man ferner meisterhafte Porträts des Architekten Rudolf Schwarz, der Dramatiker Heinrich Böll und Carl Zuckmayr, des Jazzmusikers Sidney Bechet, des Schauspielers Fritz Kortner und des Fotografenkollegen Edward Steichen. Chargesheimers Technik, das Gesicht des Porträtierten gleichsam aus dem Dunkel heraus in den hellen Vordergrund zu meißeln, ist hier sehr gut zu verfolgen.

Drei Fotos zeigen besonders Chargesheimers Gabe, Menschen in einer ausgesprochen charakteristischen Haltung festzuhalten: Jean-Paul Belmondo (um 1960) lachend, im jugendlichen Übermut fast das Format sprengend, Günter Grass (um 1970) im strengen Halbprofil, grüblerisch, verbissen und Böll von hinten mit Regenmantel und Kappe vor einer Ruhrgebietskulisse (1954). Unverkennbar.

Kölnfotos, Chargesheimers ab-strakte "Lichtgrafiken" und nicht zuletzt eine der wenigen noch intakten rotierenden "Meditationsmühlen" aus Chargesheimers Produktion runden die Bonner Retrospektive ab.

Galerie Feroz, Prinz-Albert-Straße 12, Bonn; bis 3. Juli. Öffnungszeiten Di-Fr 12-18h und nach Vereinbarung

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