Bilkent Youth Symphony Orchestra Das Rauschen der Revolution

Bonn · Auch Musik, die mit dem Etikett "klassisch" behaftet ist, kann sich durchaus in die Politik einmischen. Duplizität der Ereignisse: Vor wenigen Tagen wurde beim Bremer Musikfest "Gezi Park 3" uraufgeführt, eine Ballade für Mezzosopran, Klavier und Streichorchester des türkischen Pianisten und Komponisten Fazil Say; beim Bonner Beethovenfest waren jetzt erstmals die "Tableaux Vivants d'une Résistance" des türkischen Musikprofessors Tolga Yayalar zu hören.

 Junge türkische Musikerinnen und Musiker in Bonn.

Junge türkische Musikerinnen und Musiker in Bonn.

Foto: Barbara Frommann

Diese Bilder eines Widerstands beziehen sich ausdrücklich auf die landesweite Protestbewegung in der Türkei, die im Mai des vergangenen Jahres im Gezi-Park von Istanbul ihren Anfang nahm.

Yayalar hat seine Komposition, ein Auftragswerk der Deutschen Welle, den jungen Leuten gewidmet, die an den Gezi-Protesten teilnahmen, "all diesen jungen Menschen, die unserem Leben Hoffnung gegeben haben". So hatte es wiederum besondere Bedeutung und Eindrücklichkeit, dass beim Orchestercampus von Beethovenfest und Deutscher Welle ein junges türkisches Orchester dieses Werk spielte: das "Bilkent Youth Symphony Orchestra", das Jugendorchester der privaten Bilkent-Universität in Ankara.

"Das Stück ist physisch sehr präsent", sagt Yayalar über seine Komposition. In der Tat: Das gut viertelstündige Werk für groß besetztes Orchester liefert so etwas wie den Sound oder das Rauschen der Revolution, es arbeitet mit Klangflächen, die auf- und abschwellen wie die Wellen des Protests, dazwischen mischen sich Polizeisirenen oder - zarte Zeichen der Hoffnung - klassische Zitate. Insgesamt herrscht eine Atmosphäre der Bedrohung und Unsicherheit. Das Ganze verfehlt seine Wirkung nicht, vor allem nicht in der sichtbar engagierten Interpretation des jungen Orchesters unter Leitung des höchst umsichtigen Isin Metin.

Die Bilder eines Widerstands erwiesen sich beim Konzert in der Beethovenhalle zudem als idealer Widerpart zu Beethovens 9. Sinfonie, die sich das Ensemble aus Ankara fürs Bonner Gastspiel ausgesucht hatte, zumindest dann, wenn man die Neunte als Lobgesang auf die Ideale der (französischen) Revolution versteht. Das ehrgeizige Vorhaben des Bilkent Youth Symphony Orchestra glückte hinreißend gut, nicht zuletzt deshalb, weil man mit Isin Metin einen erfahrenen Dirigenten hatte, der seinem Ensemble jede mögliche Hilfe gab. Metin setzte auf energisches, klar strukturiertes Musizieren, seine Beethoven-Interpretation hatte Frische und Temperament.

Das Orchester selbst, angeführt von einer fabelhaften Konzertmeisterin, konnte sich vor allem mit seinen geradezu glanzvoll aufspielenden Streichern und perfektem Schlagzeug wirkungsvoll in Szene setzen, aber auch die Bläser kamen immer besser ins Spiel. Der mit schön abgerundetem Klang auftrumpfende Beethoven-Projekt-Chor der Bonner Kreuzkirche (Einstudierung Karin Freist-Wissing) und ein vorzüglich besetztes deutsch-türkisches Solisten-Quartett - Cigdem Soyarslan, Asude Karayavuz, Andreas Schager und Selcuk Cara - sorgten zusammen mit den jungen Musikern für ein beeindruckendes Finale. Große Begeisterung beim Publikum in der Beethovenhalle.

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