David Grossman in der Bundeskunsthalle

BONN · "Wie der Tod einem die Augen öffnet für alle Phasen des Lebens", das ist nur ein Gedanke von vielen, mit denen der israelische Romancier David Grossman seine Lesung im mit über 300 Besuchern gut gefüllten Forum der Bundeskunsthalle zum Ereignis machte.

Wobei Lesung der falsche Begriff ist: Grossman und seine brillante Übersetzerin Anne Birkenhauer boten einen Blick in die Werkstatt des Schreibens, dort, wo Geschichten gesponnen werden, Ideen reifen, um Formulierungen gerungen wird. Zum Lesen kam der Autor übrigens nicht - seine hebräische Originalausgabe von "Ischa borachat me-bessora" hatte er wegen drohendem Übergepäcks in Israel gelassen. Also las Moderator David Eisermann aus der deutschen Übersetzung "Eine Frau flieht vor einer Nachricht". Grossmann kommentierte und Anne Birkenhauer übersetzte.

Die Veranstaltung hatte mit lauten Lachern aus dem Publikum begonnen, als Barbara Weidle, die Vorsitzende des einladenden Literaturhauses Bonn, den anwesenden Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch als Förderer der Kultur in Bonn feierte. Nicht jeder scheint diese Meinung zu teilen. Nimptsch aber schon, wie er in seinem kurzen Grußwort zu erkennen gab.

Dann wurde es ernst, phasenweise traurig. Denn Grossman, der 2010 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels bekam, versteht es wie kaum ein anderer, die Traumata Israels, Politisches, aber auch privateste Verlustängste in Literatur zu verwandeln. Er, dessen Sohn Uri 2006 im Südlibanon fiel, kennt "dieses Exilland, das ich Trauer nenne", sagt er in Bonn, "ich wollte davon eine Karte anlegen." "Ich wollte", sagt Grossman weiter, "die Schwerkraft der Trauer überwinden und noch einmal das Leben wählen".

Damals schrieb er an "Eine Frau flieht vor einer Nachricht", die Geschichte von Ora und deren Angst um den Sohn Ofer, der sich nach dreijährigem harten Militärdienst freiwillig zum Einsatz im Westjordanland meldet. Ora wandert tagelang mit ihrer Jugendliebe Avram durch Galiläa. Sie will unerreichbar sein, wenn Soldaten ihr die Todesnachricht überbringen. "Für eine Nachricht braucht man zwei Leute", sagt Grossman, "einen, der sie überbringt, einen, der sie empfängt". Um diese Begegnung zu vermeiden, flieht die Mutter "ans Ende der Welt".

Auf dieser Flucht entstehen bittere, aber auch wunderbare Gedanken. Die füllen Grossmans Buch. Es gebe eine Neigung, in Büchern aus Israel immer nur das Politische zu sehen, "aber das Leben besteht auch aus anderen Schichten". Davon erzählt "Eine Frau flieht vor einer Nachricht".

Grossman blickte mit seinem Publikum auch in die Zukunft: Im Februar wird "Die Umarmung" mit Zeichnungen von Michal Rovner bei Hanser erscheinen, eine intime Mutter-Kind-Geschichte, bei der es um Individualität und Alleinsein gehen soll. Und 2013 erwartet uns ein Grossman-Buch (Arbeitstitel: "Aus der Zeit fahren"), in dem sich ein Vater auf die Reise zu seinem vor fünf Jahren gestorbenen Sohn begibt. Andere Eltern schließen sich ihm an, "sie suchen den Punkt, wo Leben und Tod sich begegnen", so Grossman. Das ist sein Thema, und es ist das große Thema Israels.

Ein trauriges: "Die meisten Israelis glauben nicht mehr wirklich daran, dass es Israel in 50 Jahren noch geben wird. Sie haben die Hoffnung verloren." Grossman gehört offensichtlich nicht dazu: Er schreibt gegen diese Stimmung an, ohne sich die Welt schönzuschreiben.

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