Sahra Wagenknecht und Manfred Osten Debatte im Bonner Frauenmuseum
Was sind die von Mephisto ins Spiel gebrachten drei Gewaltigen mit den klingenden Namen Raufebold, Habebald, Haltefest anderes als Inkarnationen des fiesen, auf Gewalt, Gier und Geiz fußenden Kapitalismus?
Die drei Gewaltigen setzen Fausts ehrgeizige Landgewinnungspläne brachial um, sind für den Tod des alten Paares Philemon und Baucis verantwortlich - was Faust in der Drastik nicht gewollt, aber als Frühkapitalist in Kauf genommen hat. Ist nicht Goethes Wort "Krieg, Handel und Piraterie, dreieinig sind sie, nicht zu trennen" deutliche Kapitalismuskritik?
Fragen und reichlich Debattenstoff für einen Bonner Abend, der mit "Faust und die Finanzkrise" überschrieben war. Die Kulisse im Frauenmuseum war perfekt für einen literarisch-politischen Schlagabtausch auf höchstem Niveau. Ein Buchregal, paritätisch gefüllt mit Schriften von Goethe und Marx (aus dem Antiquariat Walter Markow des Bonner Linken-Politikers Jürgen Repschläger), eine Büste von Goethe im Regal, ein Marx-Köpfchen auf dem Tisch, an dem Sahra Wagenknecht im eleganten stahlgrauen Kostüm Platz nahm.
Neben die eloquente Ikone der Bundes-Linken - studierte Philosophin und Wirtschaftswissenschaftlerin - setzte sich Manfred Osten, Jurist, Publizist, ehemaliger Diplomat und Generalsekretär der Alexander von Humboldt-Stiftung. Die beiden so gegensätzlichen Köpfe und profunden Kenner Goethes schätzen sich, das sieht man. Wiederholt sind sie gemeinsam in Sachen Goethe und Marx in den Ring gestiegen, nun auch auf Einladung der Altstadtbuchhandlung in Bonn.
Glänzende Stimmung, viel Gelächter und verteilte Rollen: Osten, der feingeistige Moderator, ist angetreten, die Linke mit Goethe zu provozieren, sie einzufangen, wenn sie zu weit in die zügellose Welt der Finanzmärkte abdriftet, und wieder auf Faust einzuschwören. Sie, brillant formulierend, skizzierte auf dem Klassiker fußend das Bild einer Gesellschaft, die statt Dynamik und Innovationskraft die Blockaden einer interessengesteuerten Wirtschaft erlebe.
Goethe, der mit Sorge die Entwicklung des Frühkapitalismus in England, das Elend der werktätigen Bevölkerung beobachtete, erscheint als Prophet des bald auch über Deutschland hereinbrechenden Kapitalismus: "Wir wollen alle Tage sparen / und brauchen alle Tage mehr", steht im Faust, zweiter Teil. Goethe habe die Doppelnatur des Kapitalismus erkannt, sagte Wagenfeld, "sein Faust will den Reichtum nicht, weil er Luxus will, sondern den Gewinn um des Gewinns Willen. Gegen Ende aber ist er brutal, expansionistisch, nutzt die Kraft von Mephisto, um sich ein riesiges Weltnetz von Reichtümern zu verschaffen." "Faust muss gebändigt werden", forderte sie mit Hinblick auf die Finanzmärkte. Osten bemühte hier Karl Valentin: "Der Mensch ist gut, aber die Leute sind schlecht."
Mephistos Idee der Geldschöpfung ohne Wertschöpfung erscheint Osten als Vorgriff auf unsere Gegenwart mit ihrer Diskrepanz zwischen dem Erlös aus menschlicher Arbeit und der wachsenden Macht des virtuellen Geldes, der Kapitalrendite. Wagenknecht brachte gleich "Mephistopheles Draghi" ins Spiel: Der EZB-Chef habe Mephistos Vorschlag, einfach Geld zu drucken, umgesetzt. "Kurzfristig ist das toll, aber es schafft eine korrupte, unproduktive Gesellschaft", sagte Wagenknecht.
Der Ärger mit der Weltfinanz und die Tragik der gescheiterten Figur Faust prägten diesen Abend, der alles andere als melancholisch war, voller luzider Gedanken und Visionen steckte und allen Beteiligten viel Spaß machte. Osten schloss mit Horváth: "Eigentlich bin ich ganz anders, nur komme ich so selten dazu."