Der abgekühlte Blick

"Man sieht nur mit dem Herzen gut", meinte der Kleine Prinz von Antoine de Saint-Exupéry. Das Bonmot ist reichlich abgegriffen. Das Kunstmuseum Bonn probiert einen anderen Weg: "Through the Looking Brain" lautet der leicht verdrehte Titel einer neuen Ausstellung.

 Eine Hommage an Menschen, die gerne Blumen fotografieren: Ein Blumenbild von 111 aus dem Werk von Fischli & Weiss (1998).

Eine Hommage an Menschen, die gerne Blumen fotografieren: Ein Blumenbild von 111 aus dem Werk von Fischli & Weiss (1998).

Foto: Kunstumseum

Bonn. "Man sieht nur mit dem Herzen gut", meinte der Kleine Prinz von Antoine de Saint-Exupéry. Das Bonmot ist reichlich abgegriffen. Das Kunstmuseum Bonn probiert einen anderen Weg: "Through the Looking Brain" lautet der leicht verdrehte Titel zu einer Ausstellung, in der die Welt durch das Gehirn gesehen wird.

Eine analytische Erfassung und akribische Vermessung der Welt geht Hand in Hand mit einem systematischen Durchdringen sozialer Gefüge und historisch-poltischer Systeme. Welches Medium böte sich da besser an als die Fotografie?

Seit den 60er Jahren schüttelt eine neue Generation den Ballast einer künstlerischen Fotografie ab, entwickelt sich ein neuer, geradezu kruder, fast anonymer Dokumentarstil mit der Kamera, der oft in Serien die Lebensumwelt zu katalogisieren versucht. Stephan Berg, der Intendant des Kunstmuseums, spricht von einer "Entauratisierung und Abkühlung in der konzeptueller Fotografie", die bis in unsere Gegenwart reiche.

In der Tat zieht sich ein roter Faden von den Tankstellen, die Ed Ruscha im Jahr 1962 entlang der Route 66 fotografierte, und dem Kleiderbestand einer Frau, den Hans-Peter Feldmann 1974 im Stil eines Archivars oder Tatortfotografen in 62 kleinen Bildern aufnahm, zu den Sternenhimmeln von Thomas Ruff (1989) oder den von Bildungsbürgern frequentierten Kulturtempeln Thomas Struths (90er Jahre).

Die Askese und Zurückhaltung früherer Tage ist allerdings verschwunden. Eine neue Opulenz macht sich breit, ob im aufwendig gedruckten Großformat bei Ruff und Struth oder in den edlen Leuchtkästen von Jeff Wall, die mit voller Absicht mehr versprechen, als sie inhaltlich bieten.

Wie viel die Zeitgenossen noch mit der reinen Lehre der Pioniere der konzeptuellen Fotografie verbindet, ist eine der Fragen, die sich in "Through the Looking Brain" stellen. In einer repräsentativen Auswahl stellt das Kunstmuseum 29 Positionen von 1970 bis in die Gegenwart vor.

Erstmals wird die von Ruedi und Thomas Bechtler in Zusammenarbeit mit Bice Curiger, Kuratorin am Kunsthaus Zürich und Direktorin der aktuellen Biennale in Venedig, aufgebaute Fotografiesammlung der Schweizer Zellweger Luwa AG gezeigt.

Gelungen ist ein Parcours, in dem alle großen Namen von Doug Aitken, John Baldessari und den Bechers bis Sigmar Polke, Hiroshi Sugimoto und Jeff Wall vertreten sind.

Dokumentarisches kommt ebenso zur Sprache wie die Arbeit mit vorgefundenem Material, der sogenannten Appropriation, die anonyme Fotos der Massenkultur in neue Zusammenhänge bringt. Dazwischen tauchen Solitäre wie Roman Signer auf, der mit Bildwitz und Ironie Dinge zur Explosion bringt und die kleinen Katastrophen fotografisch formvollendet festhält.

Auf einer ähnlichen Ebene bewegen sich die poetischen Fundstücke von Gabriel Orozco, deren Geschichte neugierig macht, oder Martin Kippenbergers abgedrehtes 85-teiliges Architektur-Privatissimum "Psychobuildings" (1988).

Ohnehin bestehen enge Beziehungen zwischen der konzeptuellen Fotografie und der Architektur: Exemplarisch hier Günther Förgs Annäherungen an das Bauhaus, Sugimotos unscharfe Zitate nach Gropius, Gaudi und Herzog & De Meuron oder Tacita Deans Recherchen zum Bubble House.

Der Reiz dieser Schweizer Sammlung liegt nicht nur darin, dass die Großen zu sehen sind, sondern, was gesammelt wurde. Andreas Gursky ist etwa mit seinem ersten digital bearbeiteten Foto vertreten, "Montparnasse" von 1993.

Von Fischli & Weiss ist neben der ersten Kooperation überhaupt, die witzige "Wurstserie" von 1979, auch ein raumfüllendes Tableau mit 111 bunten Blumenbildern (1998) zu sehen, allesamt digitale "Doppelbelichtungen". Von dieser künstlerischen Überwältigung zu den mit Kunst und Kitsch überladenen Interieurs, die Ken Lum 1980 in der Zeitschrift Architectural Digest fand, ist nur ein kurzer Weg.

Der abgekühlte Blick auf die Welt entlarvt Bruchstellen und Widersprüche, Sinnloses und Groteskes. Die Analyse dringt in ungeahnte, aufregende Sphären vor. Mit dem Gehirn zu sehen, kann also durchaus sinnliches Vergnügen bereiten. Das zeigt diese außergewöhnliche Schau.

Rahmenprogramm zur AusstellungMit einem umfangreichen Rahmenprogramm begleitet das Kunstmuseum die Fotografieausstellung "Through the Looking Brain". Eröffnung ist am Mittwoch um 20 Uhr durch OB Jürgen Nimptsch.
Am 6. Juli ist Ludger Derenthal, Leiter des Museums für Fotografie Berlin, in der Reihe Im Dialog zu Gast. Um 19 Uhr wird er mit Kurator Stefan Gronert sprechen.
Den Querpass am 13. Juli, 19 Uhr, übernimmt Bonns Kulturdezernent Martin Schumacher (im Gespräch mit Intendant Stephan Berg).
Ein Symposium wird sich am 7. Juli, 10 bis 19 Uhr, mit "Fotografie zwischen Dokumentation und Inszenierung" befassen.
Zum ArtAbend lädt das Kunstmuseum am 14. September, 19 Uhr. Kunstgeschichtestudenten der Bonner Uni präsentieren sich unter dem Motto "Wir werden's euch zeigen" als Kunstvermittler. Im Rahmen des Beethovenfests kommen am 13. September, 12 Uhr, und am 17. September, 12 Uhr, Gäste.

Kunstmuseum Bonn, Friedrich-Ebert-Allee 2; bis 25. September, Di-So 11-18, Mi bis 21 Uhr. Zur Ausstellung ist bei Hatje-Cantz ein ausgezeichneter Katalog erschienen (39,80 Euro).

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