Ausstellung im Museum Ludwig Der entscheidende Augenblick

Köln · Das Kölner Museum Ludwig startet eine neue Reihe zur Fotografie mit Henri Cartier-Bresson und Heinz Held. Ein Stück Kölner Fotogeschichte mit internationaler Relevanz.

 „Menschen mit Bildern“: Fotografien von Henri Cartier-Bresson (v.l.), „Barcelona“ (1954), „Im Prado, Madrid“ (1961) und „Töchter der Confederation vor dem Gemälde ihres Präsidenten Thomas Jefferson, Richmond Virginia“ (1963).

„Menschen mit Bildern“: Fotografien von Henri Cartier-Bresson (v.l.), „Barcelona“ (1954), „Im Prado, Madrid“ (1961) und „Töchter der Confederation vor dem Gemälde ihres Präsidenten Thomas Jefferson, Richmond Virginia“ (1963).

Foto: Thomas Brill

Der berühmte „Pfützenspringer“ des Fotografen Henri Cartier-Bresson beinhaltet ein besonderes, gerne übersehenes Detail: Hinter dem Mann, der so elegant über das Wasser springt, hängt ein Zirkusplakat, das ebenfalls einen springenden Menschen zeigt. Zufall, Fotografenglück – Cartier-Bresson nannte das das surreale Potenzial der Fotografie. Der Kölner Fotograf Heinz Held, der seine Passanten ähnlich wie Cartier-Bresson mit Werbeplakaten oder Bildern fotografierte, sprach bei solchen Momenten, in denen der Funke überspringt, von einer „Magie, die ins Herz trifft“. Das Museum Ludwig bringt diese Geistesverwandten in der kleinen, feinen Ausstellung „Menschen mit Bildern“ zusammen. Miriam Halwani, für Fotografie zuständige Kuratorin am Ludwig, die mit dieser Präsentation eine neue Ausstellungsreihe startet, stellt sich die beiden als Flaneure im Trenchcoat vor, die die Stadt auf Motivsuche durchstreifen.

L. Fritz Gruber, 2005 gestorbener Doyen der Kölner Fotoszene, hatte eine ähnliche, und doch differenziertere Wahrnehmung von Cartier-Bresson. In Anspielung auf eine Fotoserie von Chargesheimer, die Cartier-Bresson 1956 mit Kamera in der Menge zeigt – erst wie ein Raubtier lauernd, dann gewissermaßen auf dem Sprung zum Foto –, sagte er: „Der Mann also, der so präzise sieht und es für den Bruchteil einer Sekunde im entscheidenden Moment festhält, verleugnet geradezu sich selbst, indem er so intensiv in dem aufgeht, was vor ihm ist, und was er im Bilde bewahren möchte.“ Grubers scharfsinnige Analyse stammt aus dem Jahr 1967, als er eine Cartier-Bresson-Schau in der Kunsthalle Köln eröffnete und den Fotografen als Meister der „Ein-Bild-Story“ rühmte.

Elf Jahre zuvor hatte Gruber in der fünften seiner legendären „Photokina Bilderschauen“ in Köln die junge Fotoagentur Magnum präsentiert, die Crème de la Crème der internationalen Fotografie. Cartier-Bresson, der Mann des „entscheidenden Augenblicks“ war dabei – und sein Kölner Kollege Held auch, er war Grubers Assistent.

Kuratorin Halwani führt nun diese Stränge zusammen, zeigt Fotos, Archivalien und einen aufschlussreichen Film, in dem Grubers Witwe Renate über die Begegnungen mit Cartier-Bresson spricht. Ein Stück Kölner Fotogeschichte mit internationaler Relevanz: Gruber hatte die immense Bedeutung der Fotografie erkannt und das Beste vom Besten nach und nach in Köln gezeigt. So eben auch die Agentur Magnum ein Jahr nach der Eröffnung von Edward Steichens „Family of Man“, ein Who's Who der Fotografie, im New Yorker MoMA (neun Millionen Besucher). Held hat die Magnum-Schau in einer Weise dokumentiert, die durchaus künstlerisches Potenzial erkennen lässt: Ungewöhnliche Perspektiven und Momente charakterisieren diese Bilder, seine Sozialstudien und Straßenbilder waren meist präziser. 1967 folgte Grubers große Cartier-Bresson-Retrospektive mit 200 vergrößerten und auf Holzplatten aufgezogenen Motiven. Die „sehen etwas abgeranzt aus“ (Halwani), hängen nun aber auch als Dokumente einer überholten Präsentationsform im Ludwig: Fotoikonen wie der Junge mit der Weinflasche, Giacometti im Pariser Regen und das bukolische „Déjeuner sur l'herbe“ sind dabei.

Mit der Ausstellung „Menschen mit Bildern“ und dem Video von Renate Gruber wird auch das „Foto Lab“ eröffnet, ein kleiner Aktionsraum für Kinder und Erwachsene, in dem der Museumsbesucher zum Kurator werden und seine eigenen Ausstellungswand bestücken kann. Der Blick auf und in die Camera obscura – die Mutter aller Kameras – ermöglicht ferner eine Zeitreise zu den Anfängen und zum Prinzip der analogen Fotografie.

Das Museum Ludwig will seinen Rang als mit dem Folkwang Museum in Essen bedeutendste Fotosammlung Deutschlands, so Ludwig-Chef Yilmaz Dziewior, auch mit einem ehrgeizigen Digitalisierungsprogramm unterstreichen. Von den insgesamt rund 70 000 Fotos der Sammlung wurden in den vergangenen zwei Jahren mit finanzieller Unterstützung des Kölner Online-Fotoservices „Pixum“ 4000 Abzüge der Sammlung Agfa in hoher Auflösung digitalisiert und wissenschaftlich bearbeitet. Als nächste Konvolute stehen die Sammlungen Gruber und Daniela Mrazkowa für die Digitalisierung an. Pixum gab gestern bekannt, das Engagement um zwei Jahre zu verlängern. Dann fehlen nur noch 31 Jahre für die Erfassung der gesamten Fotoschätze des Hauses. Das digitalisierte Material soll Stück für Stück auf der Homepage www.kulturelles-erbe-koeln.de publik gemacht werden.

Museum Ludwig Köln; bis 20. August. Di-So 10-18 Uhr

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