Lesung in Bonn Der französische Autor Nicolas Mathieu im Institut français

Bonn · Den Titel zu seinem 2022 erschienenen Roman „Connemara“ lieferte der französische Sänger Michel Sardou dem Schriftsteller Nicolas Mathieu. Bei seiner Lesung im Institut français in Bonn erfuhr das Publikum nicht nur viel über das Buch – Mathieu verriet auch, wie er zu Sardou steht.

Nicolas Mathieu war im Institut français in Bonn zu Besuch.

Nicolas Mathieu war im Institut français in Bonn zu Besuch.

Foto: picture alliance/dpa/Christophe Ena

Das Chanson „Les lacs du Connemara“ von Michel Sardou ist in Frankreich (fast) immer krönender Abschluss von Hochzeitsfeiern und Examenspartys. Das 1981 veröffentlichte Lied verbindet in einem zerrissenen Land Elite, Intellektuelle und einfache Leute. Es fehlte in keinem von Sardous Konzerten, im April 2018 beschloss es seinen letzten Auftritt in Paris und besiegelte das Ende einer jahrzehntelangen Karriere. Allerdings nicht für immer. Am 3. Oktober hat der Ruhestand ein Ende, dann startet Sardou in Rouen eine neue Frankreich-Tournee. Wer will es ihm verdenken, er ist ja gerade erst 76.

Sardous Hit lieferte dem Autor Nicolas Mathieu den Titel und ein Leitmotiv seines 2022 erschienenen Romans „Connemara“. Auf Einladung von Almuth Voß (Literaturhaus Bonn) und Matthieu Osmont (Institut français) stellte Mathieu, ein sympathischer, witziger und schlagfertiger Star der französischen Literaturszene, sein Buch im Vorlesesaal des Institut français vor. Der aus Rostock angereiste Autor, der aufgrund einer Verspätung der Deutschen Bahn (wissendes Gelächter im Publikum) nicht ganz pünktlich erscheinen konnte, erzählt in „Connemara“ die Geschichte von Hélène, die bald 40 wird, und von Christophe. Es ist eine Geschichte von Ehe- und Familienleben, von Ausbruch und Untreue, beruflichem Ehrgeiz und zerplatzten Träumen – und der Präsidentschaftswahl 2017. Mit Ironie und satirischem Biss seziert Mathieu die Welt (und die von Anglizismen getränkte Sprache) von Beratern. Hélène ist Consultant. Als Folie dient Sardous sich zu einem ekstatischen Taumel steigerndes Chanson, in dem er vom wilden Irland singt, von einer Hochzeit und einem mehrtägigen Besäufnis. Das Leben, heißt es, ist der Wahnsinn. Und den Wahnsinn muss man tanzen: „Là-bas, au Connemara / On dit que la vie, c'est une folie / Et que la folie, ça se danse.“

Nicolas Mathieu gilt als „Seismograf sozialer Strukturen“

Mathieus Buch vereint unterschiedliche „Temperaturen", wie die Übersetzerin Lena Müller ausführte. Gemeinsam mit André Hansen hat sie für intime Nuancen, gesellschaftspolitische Analyse und Consulting-Sprache beim Übertragen eigene Tonlagen gefunden. Mit der Erkenntnis „Wir müssen in die Vollen gehen“ widmete sich das Übersetzer-Duo dem Berater-Jargon. Mathieu, 44 und Prix-Goncourt-Gewinner 2018 (für „Wie später ihre Kinder“), lebt in Nancy. Er gilt als Seismograf sozialer Strukturen. Ein politischer Autor? Im Institut français beharrte Mathieu auf seiner Rolle als Schriftsteller, der in der Tradition von Balzac, Flaubert und Maupassant aus der Gegenwart gewonnene Geschichten entwickelt. Am Anfang stehe dabei immer der Umriss einer Figur: „la silhouette d’un personnage“. Mathieu ist das Gegenteil von verkopft und verschwurbelt. Menschen, nicht Thesen, sind sein Thema.

Der von Mathieu, Voß, Müller und Sarah Lockie vom Institut français zweisprachig bestrittene Abend spiegelte die literarische Klasse des Autors, der seine schriftstellerische Arbeit mit dem Verfahren japanischer Künstler vergleicht, die Lackschicht auf Lackschicht auftragen, bis ein perfektes Werk entsteht. Mathieu ist kein Snob. Er schätzt das Lied „Les lacs du Connemara“ des Volkssängers Sardou („Moi, j’aime cette chanson“) und macht Hits wie diesen ein riesengroßes Kompliment. Sie wirkten wie Marcel Prousts Erinnerungen auslösende ovale Sandtörtchen, die man „Madeleine“ nennt: klingende Lebensbegleiter.

Nicolas Mathieu: Connemara. Hanser Berlin, 429 S., 26 Euro.

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