Präsidentin der Unesco Welterbe-Komission Der Geist von Bonn

Bonn · Am Mittwoch endet die 39. Welterbetagung der Unesco-Komission. Vor dem Ende gab Maria Böhmer, Staatsministerin im Auswärtigen Amt und amtierende Präsidentin des Welterbekomitees, dem General-Anzeiger ein Interview.

 Die Vorsitzende des Unesco-Komitees Maria Böhmer unterhält sich während der Sitzung im Bonner WCCB mit dem Direktor des World Heritage Center, Kishore Rao.

Die Vorsitzende des Unesco-Komitees Maria Böhmer unterhält sich während der Sitzung im Bonner WCCB mit dem Direktor des World Heritage Center, Kishore Rao.

Foto: dpa

Seit dem 28. Juni hatten rund 1200 Delegierte im Plenarsaal des WCCB getagt. Das Programm reichte von gefährdeten Welterbestätten über Debatten, die Verteilung der Titel fairer zu gestalten, bis hin zur mit Spannung erwarteten Kür von 24 neuen Werterbestätten am vergangenen Wochenende.

Maria Böhmer, Staatsministerin im Auswärtigen Amt und amtierende Präsidentin des Welterbekomitees, kennt den Plenarsaal aus ihrer Bonner Abgeordnetenzeit. Kurz bevor sie die MS Rheinenergie für den Abendempfang bestieg, sprach sie mit Thomas Kliemann.

Naumburg hat für die Nominierungsunterlagen 600.000 Euro ausgegeben, Hamburg bestimmt mehr. Sind das nicht Beträge, an denen Schwellenländer und Länder der Dritten Welt scheitern müssen? Das Problem ist bei der 39. Sitzung angesprochen worden: Die weltweite Disbalance der Welterbestätten. Welche Schritte zur Lösung hat die Unesco unternommen?
Maria Böhmer: Die Nominierung ist nicht allein eine Frage der Finanzen, sondern auch des Know-how, von Experten - und dann sind wir wieder beim Geld. Je mehr Welterbestätten eingeschrieben werden - wir sind jetzt bei 1031 -, desto umfangreicher sind die Anforderungen, etwa den Erhalt immer wieder zu evaluieren.

Aber schon die Nominierung stellt manche Länder vor Probleme.
Böhmer: Eine Nominierung muss entsprechend vorbereitet werden. Beim Aachener Dom reichten noch einige wenige Seiten, um nachzuweisen, dass er von außergewöhnlichem universellen Wert ist. Heute haben wir dicke Bände vor uns liegen. Viel investiertes Geld. Wir müssen darauf achten, dass sich die Kosten in einem überschaubaren Rahmen halten. Dass es in etwa in Afrika zu wenige Nominierungen gibt, steht außer Frage.

Ein mögliches Szenario wäre, dass die reichen Länder ihre Mittel zunehmend in die Nominierungen und den Erhalt von Welterbe ärmerer Länder investieren - Beispiel Bibliothek von Timbuktu. Wie denken Sie darüber?
Böhmer: Das passiert schon. Timbuktu mit seinen wunderbaren Handschriften haben Sie gerade genannt, die sind durch den mutigen Bibliothekar Abdel Kader Haidara, der gerade in Bonn war, gerettet worden - und durch deutsche Hilfe: Wir haben 500.000 Euro für die Wiederherstellung der Handschriften gegeben, dieses Jahr nochmals 350.000 Euro zugesagt. Wir haben seit 35 Jahren das "Kulturerhalt-Programm" und werden es auch fortführen. Etwa die Schweiz gibt ebenfalls in Mali Unterstützung - beim Wiederaufbau der zerstörten Mausoleen. Darüber hinaus gibt es Partnerschaften für Nominierungen.

24 neue Welterbestätten in diesem Jahr, 1031 Stätten insgesamt. Führt diese Dynamik nicht zur Inflation des Titels "außergewöhnlicher universeller Wert"?
Böhmer: Das entscheidende Kriterium haben Sie gerade genannt. Wenn es sich wirklich um eine Stätte von außergewöhnlichem universellem Wert handelt, dann muss sie auch eingeschrieben werden. Das gilt es nachzuweisen. Deshalb habe ich seit Beginn meiner Präsidentschaft auf eine Reform unter anderem der Beratungsorganisationen Icomos und IUCN gedrungen. Deren Expertise muss gestärkt werden, so dass man sich wirklich darauf verlassen kann. Es gibt immer wieder Rückläufe von Evaluierungsberichten, in denen Fehler nachgewiesen werden. Das muss reduziert werden.

Wäre es nicht denkbar, die Liste vorübergehend zu schließen und die Weltgemeinschaft dahin zu bringen, das gemeinsame Erbe zu erhalten?
Böhmer: Das wäre etwa Afrika gegenüber nicht gerecht. Da gibt es noch viele weiße Flecken auf der Landkarte - und jeder weiß, dass es dort Schätze gibt, die es lohnt zu heben. Bei Ephesus in der Türkei fragt sich jeder: Warum erfolgte die Einschreibung erst 2015 und nicht schon viel früher?

80 Prozent ihres Etats fließen bereits in die Evaluierung der Nominierungen. Macht ihnen diese Entwicklung Sorge?
Böhmer: Wir haben heute erneut darüber gesprochen. Uns bleiben nur 20 Prozent der Mittel, um Länder, die es aus eigener Kraft nicht schaffen, bei der Nominierung und beim Erhalt zu unterstützen. Hier muss sich etwas ändern. Möglicherweise müssen wir die Zahl der Neunominierungen reduzieren. Das will aber niemand so richtig. Also müssen neue Geldquellen erschlossen werden. Wir hoffen auf mehr freiwillige Unterstützung.

Nachdem die Unesco die "Bonner Erklärung" gegen die barbarische Kulturzerstörung durch den IS verabschiedete, veröffentliche der IS ein Video mit einem Massaker der Islamisten in der zerstörten Welterbestätte Palmyra. Ein makabres Zeichen. Was haben Sie da empfunden?
Böhmer: Es war leider nicht das erste Zeichen. Und es wird womöglich nicht das letzte bleiben. Wir sind in einer Art und Weise von terroristischen Zerstörungen bedroht, die Menschenleben betreffen und auch Kulturgüter bedrohen. Wir sind fassungslos. Das war auch bei allen Teilnehmern der Konferenz zu spüren. Wir haben viele Berichte über Zerstörungen in Afghanistan, im Irak, in Syrien, Mali und weiteren Konfliktregionen gehört. Hier geht es nicht um religiöse Fragen, hier geht es um die Zerstörung, um das Ausradieren der kulturellen Wurzeln der Menschheit. Bei der Unesco-Sizung wurde klar: Solche Verbrechen werden als Kriegsverbrechen geächtet.

Das mediale Interesse fokussiert sich auf die zwei Tage, in denen die Welterbe-Oscars verteilt werden? Wie bewerten Sie diesen Hype?
Böhmer: Der Blick hat sich verändert. Er richtet sich stärker auf den Erhalt von Welterbestätten. Besonders bewegend war der Fall Great Barrier Reef. Die Australier haben umgesteuert, einen Aktionsplan bis 2050 vorgelegt.

Wie hat sich Bonn als Unesco-Tagungsstadt gemacht? Gibt es Reaktionen?
Böhmer: In meiner Anfangszeit war ich als Bundestagsabgeordnete in Bonn. Für mich war es eine besondere Freude, als ich erfuhr, die 39. Sitzung würde in Bonn und im alten Plenarsaal stattfinden. Die Atmosphäre im Plenarsaal, die Offenheit und Transparenz, die wir schon als Bundestagsabgeordnete sehr geschätzt haben, hat dazu geführt, dass man zueinander gefunden hat, miteinander geredet hat. Der Rhein hat früher getrennt, heute hat er etwas Verbindendes. Das ist es, was den Geist der Welterbekommission ausmacht: Zusammenführen und Verbinden. Von Bonn wird diese Botschaft in alle Länder der Welt ausgehen.

Passend dazu geht es gleich auf die MS Rheinenergie zum Abendempfang auf dem Rhein.
Böhmer: Das Wetter ist ideal.

Zur Person

Geboren wurde Maria Böhmer (65) in Mainz, sie studierte Mathematik, Pädagogik, Physik und Politikwissenschaften und wurde im Fach Pädagogik promoviert. Nach Forschungsaufenthalten in Cambridge und Augsburg wurde sie 1982 in Mainz habilitiert. Seit 2001 ist Maria Böhmer Professorin für Pädagogik in Heidelberg. 1990 wurde das CDU-Mitglied in den Bundestag gewählt, sie übernahm später Helmut Kohls Wahlkreis Ludwigshafen-Frankental. Seit Ende 2013 ist Maria Böhmer Staatsministerin im Auswärtigen Amt. Gegenwärtig leitet sie als Präsidentin des Welterbekomitees der Unesco die 39. Sitzung in Bonn, die heute im WCCB zu Ende geht.

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