Gespräch mit dem Dirigenten Teodor Currentzis Der Grieche vom Ural

Bonn · Der exzentrische Dirigent Teodor Currentzis kommt mit seinem ensemble MusicAeterna in die Phillharmonie und mit dem Mahler Chamber Orchestra zum Beethovenfest.

Für Teodor Currentzis ist der Weg das Ziel. Musik, so lautet eine These des Dirigenten, ist zum Proben da und nicht nur für die Aufführung. Und deshalb fallen die Arbeitstage bei ihm in der Regel auch deutlich länger aus als bei den meisten seiner Kollegen. Jedes Mal, wenn er sich einem Stück annähert, wird dies zu einem kollektiven Projekt aller beteiligten Musiker und Sänger. Man beginnt bei Null, und am Ende kann etwas Großes entstehen. So wie der hymnisch gelobte, bei Sony erschienene CD-Zyklus mit Mozarts Da-Ponte-Opern „Le nozze di Figaro“, „Don Giovanni“ und „Così fan tutte“, für dessen Produktion er anderthalb Tausend Kilometer östlich von Moskau in Perm ideale Arbeitsbedingungen fand.

Perm ist seit 2010 die künstlerische Heimat des griechischen Dirigenten. Dafür hat er gute Gründe, wie er im Gespräch erläutert: „In den großen Musikzentren stößt man auf eine so reiche, Jahrhunderte zurückgehende kulturelle Tradition, dass es keinen Raum mehr für musikalische Laborarbeit gibt, keine Möglichkeit, Dinge von Grund auf zu überdenken und neu zu machen“, sagt er. „Selbst wenn es grundsätzlich möglich wäre, ist dort die Zeit zu knapp bemessen. Denn Zeit ist Geld.“

Durch Tarifverträge reglementierte Arbeitszeiten passen nicht zum Arbeitsethos des 44-jährigen Griechen. 2004 gründete er in Nowosibirsk, wohin es ihn nach seinem Studium in Sankt Petersburg als Opernchef verschlagen hatte, das Ensemble MusicAeterna. „Mir geht es darum, ohne formale Zwänge arbeiten zu können. Nur so kann man bis zum reinen Geist der Dinge vordringen.“ Das geht dann oft bis tief in die Nach hinein, nicht selten, so heißt es, wird danach noch lange Party gemacht.

Aber wie schafft es ein Dirigent, so hochtalentierte Musiker dazu zu überreden, ihm in die Provinz zu folgen, wo jedem einzelnen von ihnen die Türen in Berlin, Wien, Paris oder London weit offen stehen würden? „Die Musiker, die schon in der Welt unterwegs waren, fanden dieses Leben wenig befriedigend. Sie schlossen sich MusicAeterna an, weil sie hier wie in einer großen Familie leben können. Chor und Orchester wollen neue Methoden ausprobieren, wie Musik entstehen kann. Auf eine Art, die Musik nicht als Profession versteht, sondern als eine Mission, zu der man berufen wird wie ein Priester oder ein Poet. Wenn jemand sagt, er sei ein professioneller Poet, klingt das ja auch ein bisschen befremdlich.“

Die Musiker folgen ihm längst wie einen Guru. Und ein bisschen so tritt er auch auf. Er gilt als der Dirigent im Gothic-Look, die Haare kinnlang und so pechschwarz wie die Kleidung, die mit dem Konzertfrack nur die Farbe gemein hat. Als der der damalige Gouverneur von Perm, Oleg Tschirkunow, Currentzis das Angebot machte, das Opernhaus der Provinzmetropole im Ural zu leiten, sagte er nur unter der Bedingung zu, seine Ensembles mitbringen zu dürfen. Natürlich folgte die „Familie“ ihm. Jetzt hat das traditionsreiche Tschaikowsky-Theater der Stadt gleich zwei Orchester, wobei Currentzis selbst lediglich die Saison-Eröffnung mit dem angestammten Opernorchester dirigiert.

In Bonn und der Region kann man Currentzis in den kommenden Wochen mit zwei unterschiedlichen Ensembles erleben. In Köln gastiert er am Mittwoch, 7. September, mit den MusicAeterna-Ensembles, um Henry Purcells Semi-Opera „The Fairy Queen“ aufzuführen, am Samstag, 24. September, folgt ein Gastspiel mit dem Mahler Chamber Orchestra beim Bonner Beethovenfest. Das Orchester verwaltet sich selbst und arbeitet nicht nach der Stechuhr. „Auch sie sind meine Freunde“, sagt Currentzis. „Sie sind extrem motiviert, und sie haben Herz.“

In der Beethovenhalle erklingen Beethovens Violinkonzert (Solist: Pekka Kuusisto) und die siebte Sinfonie. Wird man die Werke anders hören als gewohnt? „Ich weiß es nicht“, sagt Currentzis. Für Beethoven sind historische Instrumente Pflicht, findet er. Im Falle des Mahler Chamber Orchestra wird es eine Mischform geben, in der nur einige Musiker auf historischen, die anderen auf modernen Instrumenten spielen werden. „Wie das klingen wird, weiß ich noch nicht. Es ist ein Experiment.“ Zwischen den Beethoven-Stücken packt er Arnold Schönbergs „Ode to Napoleon“, deren Text Schauspielerin Sunnyi Melles vorträgt. Schönberg schrieb die Ode im Exil auf Texte von Lord Byron. „Es ist ein politisches Werk, das er der Welt gewidmet hat“, sagt Currentzis. Diesen Geist will er auch in der aktuellen Aufführung beschwören: „Ich möchte die Aufführung der Europäischen Union widmen.“

Currentzis fühlt sich als Europäer – auch in Perm. Die „fundamentale Differenz“, die er zwischen dem Osten und dem Westen Europas erkennt, macht er weniger an Tagesereignissen fest, sondern an der Geistesgeschichte. „Im Osten hat die platonische Philosophie gewonnen, im Westen die aristotelische. Der Osten steht für Religion, der Westen für Wissenschaft. Aber beide können ohneeinander nicht existieren, wie Mann und Frau nicht ohne den anderen leben können. Aber der Osten und der Westen befinden sich in einer schwierigen Ehe. Wie ein Paar, das immer streitet.“

Philharmonie Köln, Mittwoch, 7. September, 20 Uhr: H. Purcell: „The Fairy Queen“, Chor und Orchester „MusicAeterna“, Solisten.

Beethovenhalle Bonn, Samstag, 24. September, 20 Uhr, Beethovenfest: „Napoleonische Musik“, Werke von Beethoven und Schönberg, Mahler Chamber Orchestra, Sunnyi Melles (Rezitation), Pekka Kuusisto (Violine).

Karten für beide Konzerte in den Bonnticket-Shops der GA-Zweigstellen

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