"Der Meister und Margarita" in Bonner Kammerspielen inszeniert

Regisseur Sebastian Baumgarten bringt Michail Bulgakows russischen Literaturklassiker im Rahmen des NRW-Theaterfestivals "Westwärts" auf die Bühne

Bonn. Es hat geschneit in Moskau. Berlioz, Vorsitzender des Literatenvereins Massolit, und der Lyriker Bosdomny kommen nackt aus der Sauna. Berlioz wird noch in derselben Nacht bei einem Straßenbahnunfall buchstäblich den Kopf verlieren, wie es der geheimnisvolle Voland vorhergesagt hat.

Letzterer behauptet nicht nur, mit Kant persönlich über dessen Gottesbeweis diskutiert zu haben, sondern auch beim Verhör Jesu durch Pontius Pilatus dabei gewesen zu sein. Michail Bulgakow (1891-1940) lässt in seinem erst 1966/67 erschienenen Roman "Der Meister und Margarita" eine Vielzahl von Figuren durch ein fantastisches Universum aus Macht, Willkür, Täuschung und Verführung taumeln.

Der Regisseur Sebastian Baumgarten treibt sie in pausenlosen knapp zweieinhalb Stunden durch einen grotesken Bilderbogen aus Wahn und Irrsinn, lässt sie über die mit langsam schmelzendem Schneematsch bedeckte Bühne schlittern.

Riesige Hochhäuser im Hintergrund, davor Hütten zwischen Slum oder Datsche (Thilo Reuthers exzellentes Bühnenbild wurde für den "Faust"-Preis vorgeschlagen!) - Baumgartens vor einem Jahr am Düsseldorfer Schauspielhaus herausgebrachte und im Rahmen des NRW-Theaterfestivals "Westwärts" in den Bonner Kammerspielen gezeigte Inszenierung denkt die aktuellen gesellschaftlichen Verwerfungen in Russland mit bei Bulgakows satirischem Blick auf das Moskau am Ende der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts und Stalins blutige "Säuberungen".

Der Satan also hat sich in Gestalt von Voland (teuflisch brillant als feister Gauner und Gaukler: Rainer Galke) für fünf Tage nach Moskau begeben, macht die Helden der kommunistischen Revolution zu Staatsfeinden, Atheisten zu Religionsfanatikern.

In Baumgartens greller Trash-Revue sind sie Narren eines mystifizierten Zufallsregimes. Hilflose (zumeist in Unterwäsche bloßgestellte) Glückssucher, die in Gullys verschwinden und aus der Kanalisation, Kühlschränken, Backöfen wieder auftauchen oder gleich als skurrile Theatermetaphern herumgeistern.

Der namenlose faustische "Meister" (Markus Scheumann, auch der kopfschmerzgeplagte Pilatus) schreibt an seiner unvollendeten Passionsgeschichte (als Roman im Roman per Video eingeblendet) und verfällt dem Irrsinn. Die kokette, reiche Margarita (Nadine Geyersbach) nimmt ein Champagnerschaumbad, bevor sie sich in den schriftstellernden Meister verliebt und sich dem Teufel verschreibt.

Volands zwielichtiges Faktotum Korowjew (Christoph Müller) gibt ironisch mephistophelisch den Maître de plaisir. Die intelligent anarchische Comic-Albtraum-Inszenierung lässt alle mit spielerischer Lust entgleiten in ein luftiges Niemandsland aus hinterhältigem Blödsinn und schlauer Denkkonstruktion.

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