Sloterdijks Roman "Das Schelling-Projekt" Der Sexonkel

Bonn · Der Philosoph und Publizist Peter Sloterdijk begibt sich in seinem Buch „Das Schelling-Projekt“ auf die Suche nach der weiblichen Erotik und erleidet Schiffbruch. Dennoch ist ihm eine witzige Satire über den Wissenschaftsbetrieb gelungen.

Erotiker vom Dienst: Peter Sloterdijk.

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"Was ist doch Wissenschaft oft für eine armselige Affäre.“ Als Desiree diesen Satz in einer E-Mail an Silbe schreibt, leidet sie noch am gerade in Bonn erlebten Fiasko. Ein buntes Quintett war zur Deutschen Forschungsgemeinschaft angereist, hatte dort ein Papier vorgelegt und in der Hoffnung auf Forschungsgelder vor der Jury zu verteidigen versucht. Projekttitel: „Zwischen Biologie und Humanwissenschaften: Zum Problem der Entfaltung luxurierender weiblicher Sexualität auf dem Weg von den Hominiden-Weibchen zu den Homo-sapiens-Frauen aus evolutionstheoretischer Sicht mit ständiger Rücksicht auf die Naturphilosophie des Deutschen Idealismus.“

Die Bonner Jury reagiert auf das Thema, zu dem der Projektleiter meint, man müsse die Menschheitsgeschichte, insbesondere den Part der Frau, „von Anfang an ganz anders denken“, eher reserviert, empfiehlt das Projekt zur „Überarbeitung und Neuvorlage“.

Ein Tipp, den man gerne auch an Peter Sloterdijk weiterreichen würde, der sich als „Peer Sloterdijk“ nicht nur dieses Fanal der „Höhepunktsforschung“ mit dem weiblichen Orgasmus als Klimax der Evolution ausgedacht hat, sondern in Gestalt eines E-Mail-Romans unter dem Titel „Das Schelling-Projekt“ diskutieren lässt. Das Buch hat schon im Vorfeld, etwa bei der Lit.Cologne, für Wirbel gesorgt. Nach Erscheinen rieb sich mancher Kritiker an der Mutation von Deutschlands fleißigstem Denker vom Welterklärer zum Sexonkel („Spiegel“), der die Frau zum Herrenwitz degradiere. Besorgt fragte die „Zeit“, ob das nun Pornografie oder Naturphilosophie sei.

Raffinierte Sprache, abgeschmacktes Frauenbild

Man kann, man muss sogar am „Schelling-Projekt“ ein Übermaß an säftelnder Altherrenfantasie kritisieren. Sloterdijks sprachliche Raffinesse, sein Wortwitz, die Fabulierlust und präzise Gedankenführung werden durch ein eindimensionales, abgeschmacktes Frauenbild konterkariert. Wer erwartet, durch die fünf Protagonisten des E-Mail-Wissenschaftskollegs fünf verschiedene Perspektiven auf das Thema zu bekommen, wird enttäuscht. Sloterdijk macht sich gar nicht die Mühe, seinen Figuren unterschiedliche Charaktere und Sprachen zu schenken. Er führt einen mitunter unglaublich geschwätzigen und verschwurbelten Dialog mit sich selbst.

Mit pubertärer Freude am schlüpfrigen Detail hat er die Namen seiner Pseudo-Dialogpartner erfunden: Desiree zur Lippe, Beatrice von Freygel, Guido Mösenlechzner. Er spart weder an unterirdischen Chauvisprüchen noch an Stereotypen, vor denen offenbar auch seine Experten nicht gefeit sind. Jenseits von Anspielungen auf Schelling und Heidegger und klugen Debattenbeiträgen zur Evolution scheint es die fröhliche Wissenschaft auch privat immer wieder Richtung Unterleib zu ziehen. Da geht es um „aufgeklappte Schenkel“ und „klaffende Organe“ sowie Beatrice von Freygels Gruppensex-Abenteuer mit vier osteuropäischen, verschwitzten Möbelpackern – „ich schloss die Augen und ließ mich von der Aktion davontragen“.

Desiree zur Lippe lässt auch in ihr Inneres blicken: „Eine habilitierte Frau über fünfzig, die nach zwei Uhr früh in den Spiegel schaut, neigt zum Nihilismus. Hingegen, liege ich im Bett und berühre mich, fühlt sich die Sache nicht übel an.“

Gruppenerotische Experimente in der WG

Der Schriftsteller Kurt Silbe erinnert sich an „ein paar gruppenerotische Experimente“ aus seiner Münchner Zeit, als in der WG „nach einer der üblichen Debatten über das Entfremdungselend der BRD eine verallgemeinerte Fummelei“ einsetzte. Peer sei damals – rücklings auf der Futonmatratze – „sehr kooperativ“ gewesen: beim „Hoppereiterspiel“. Peer selbst sei Anfang der 80er Jahre in Indisch-Hellrot herumgelaufen und habe Silbe überredet, in Kiel an einem Tantra-Seminar mit einem „mystischen Luder“ teilzunehmen.

Mit Vergnügen liest man allerdings Sloterdijks fein gedrechselte Rollenbilder von Mann und Frau. „Der erigierte Aufreiter war nicht mehr als ein keuchender Schatten, der sich nach der Verrichtung seines Anliegens lautlos entfernte.“ Der nächste Schritt: Mit der Erfindung der Ehe „unterlagen die Zugangsrechte zum providentiellen Kanal einer strengeren Bewirtschaftung.“ Die Machtbasis der Frau sei der „Ei-Besitz“, die Frau sei der eigentliche Souverän. „Das phallische Männergehabe ist ja nichts anderes als ein Manöver, um die Demütigung durch die Entrückung des Eies in die uterine Fast-Unerreichbarkeit zu überspielen.“

Rückzugsgefechte der 68er-Generation

In der „taz“ war zu lesen, „Das Schelling-Projekt“ sei das richtige Buch, um den Nachgeborenen zu erklären, wie die 68er tickten. Wenn man diese Generation auf eine nachlibertinäre sexuelle Prägung reduziert, die sich allerdings bei Sloterdijk & Co. in Machogehabe und Prahlerei äußert, wobei gerade der Autor eine merkwürdige Verdruckstheit ausstrahlt, mag das stimmen.

Im „Schelling-Projekt“ lesen wir von den Rückzugsgefechten dieser Generation, von Überheblichkeit und vom Scheitern. Man vernimmt das nölende Lamento einer erfolglos um sich kreisenden, saturierten Wissenschaftlerkaste. So gesehen und gelesen ist Sloterdijks Buch eine hinreißende, sehr witzige und hintergründige Satire über den Forschungsbetrieb. Da darf das Bonn-Bashing nicht fehlen: „Nachdem die Politiker weggezogen sind, glänzt Bonn als die Bluff-Hauptstadt der Bildungsrepublik Deutschland.“ Und was fehlt noch? Kurt Silbes Quengeln über das „offene Grab des Qualitätsrundfunks. Kultur kommt einer Endlosbestattung gleich.“ Herrlich.

Peter Sloterdijk: Das Schelling-Projekt. Suhrkamp, 251 S., 24,95 Euro.