Arp Museum Bahnhof Rolandseck Der Tanz auf dem Vulkan

BONN · Traum von der Macht: Das Arp Museum Bahnhof Rolandseck widmet sich dem Turm in der Kunst.

 Alls nur Luft und Ballonseide: "Turmatem" von Bettina Bürkle und Klaus Illi.

Alls nur Luft und Ballonseide: "Turmatem" von Bettina Bürkle und Klaus Illi.

Foto: Franz Fischer

An die 40 Meter lang ist Rapunzels Zopf, ihr Turm ist ein Bau des Stararchitekten Richard Meier. Es ist der markante Aufzugsturm zum Neubau des Arp Museums in Rolandseck. Im Aufzugsschacht, in dem sich endlos eine Treppe nach oben windet, baumelt der kupferrote Zopf, erklingen sphärische Klänge der Bonner Stadtklangkünstlerin Christine Kubisch. Ein Atmen, ein Schluchzen, angstvolle Hilferufe einer Gefangenen. Das ist das starke Entree einer starken Ausstellung, die im Arp Museum Rolandseck das Thema Turm von allen Seiten beleuchtet.

"Macht. Wahn. Vision. Rapunzel & Co. Von Türmen und Menschen in der Kunst", so der Titel der von Jutta Mattern kuratierten, spannenden, aber nicht sehr übersichtlich sortierten Schau. Sie startet mit einer mittelalterlichen Heiligen Barbara, deren Attribut, der Turm, unter anderem auch als Zeichen der Wehrhaftigkeit der Kirche galt. Der Turm als religiöses Zeichen findet sich auch in jüdischen Zeremonialgeräten, die, hoch aufragend, mit Gewürzen gefüllt waren, die den Gläubigen nach Ablauf des Sabbat auf die kommende Woche einstimmen sollten.

Die Türme des Kölner Doms, von Thomas Virnich in heftige Turbulenzen gebracht, suchen symbolhaft die Nähe zum Himmel und zu Gott. Mit der Idee des alttestamentarischen babylonischen Turms aber ist die Vermessenheit des Menschen verbunden, Gott zu nahe kommen zu wollen. Jan Brueghels d. J. "Turmbau zu Babel" zeigt das dank göttlicher Sprachverwirrung stockende Bauprojekt. Der Mexikaner Ràul Ortega Ayala lässt einen Frittierfett-Babylonturm im Licht schmelzen.

Die Errichtung von Türmen und deren Brechung, Hinterfragung - dieser Antagonismus zieht sich wie ein roter Faden durch die Schau. Da ist der goldene Phallus von James Lee Byars, oder die sich per Luft aufrichtenden und entspannenden Objekte "Turmatem" von Bettina Bürkle und Klaus Illi aus Ballonseide, schließlich der für gewisse Sexualpraktiken gebräuchliche "Stainless Steel Butt Plug" aus poliertem Edelstahl von Paul McCarthy. Eine eindeutig erotische Lesart auch bei Leiko Ikemuras glasierten Terrakotta-Türmen, die sich weiblicher sowie männlicher Sexualität annähern.

Der Turm als Statuszeichen und politisches Fanal reizt in der Kunst zum ironischen Kommentar. So hat Annette Streyl den Berliner Fernsehturm am Alex, den DDR-Bürger "Imponierkeule" oder nach dem Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht "St. Walter" nannten, gestrickt und schlaff über eine Stange gehängt. Tatlins auf 400 Meter Höhe angelegtes revolutionäres Turmprojekt "Monument der Dritten Internationale" erscheint als Konglomerat von Absperrgittern mit einer Neonröhre à la Dan Flavin als Rückgrat: Eine feine Arbeit von Bettina Pousttchi.

Ein Turm kann natürlich auch Orientierung bieten. So etwa dem Künstler Selbermann mit bürgerlichem Namen Georg Vaternahm. Die "Turmsache" nennt er sein wandfüllendes, fast drei Jahrzehnte umspannendes Projekt, das sich in konzentrischen Kreisen um den Henninger Turm im Frankfurter Stadtteil Sachsenhausen dreht: Zeichnungen, Modelle, Plastiken nähern sich dieser Marke, Bilder aus Selbermanns Biografie zeigen, wie wichtig das für ihn war. Als der Turm Ende 2013 abgerissen wurde, sei der Künstler in eine Krise gestürzt, erzählt Mattern.

Ein Trümmerfeld aus Kartonage empfängt den Besucher in Malachi Farrells exzellenter Installation im sogenannten Grafikkabinett: Türme mit kleinen Ärmchen ragen aus dem Müllberg. Es sind markante Wolkenkratzer aus Manhattan. Zur Musik fangen sie ein bizarres Aerobic-Programm zur Musik an, ein wildes Turm-Ballett, das von einem Rumms unterbrochen wird: Der Knall, als eines der Flugzeuge vom 11. September 2001 in einen der Twin Towers krachte. Der Besucher hält die Luft an. Nach wenigen Sekunden geht der Tanz auf dem Vulkan weiter.

Arp Museum Bahnhof Rolandseck, Remagen; bis 31. August. Eröffnung: Sonntag. 11. Uhr. Di-So 11-18 Uhr. Katalog (Kerber) 24 Euro

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