Bonner Künstlerin Petra Siering Der Traum von fernen Formenwelten

Bonn · Ecken, Risse und Kanten: Petra Siering ist eine der wichtigsten Bonner Künstlerinnen. Die 59-Jährige gehört zu den wenigen Künstlern, bei denen die zeichnerische, malerische Tätigkeit und die bildhauerische gleichberechtigt nebeneinander existieren.

 Petra Siering beschäftigt sich mit ihren Skulpturen und Zeichnungen mit dem Raum.

Petra Siering beschäftigt sich mit ihren Skulpturen und Zeichnungen mit dem Raum.

Foto: Andrea Künstle

Es herrscht Stille. Absolute Ruhe. Hinter den dicken Backsteinmauern der alten Tapetenfabrik in Beuel, wo Petra Siering ihr Atelier hat, ist es trotz der sommerlichen Temperaturen draußen kühl wie in einer Kathedrale. Hin und wieder hört man das Kratzen oder Schleifen über Papier, nicht einmal der nahe gelegene Zugverkehr ist zu hören. Der Weg ins Atelier hat Tempelcharakter mit den monumentalen Steinarbeiten aus Marmor und Beton, die am Rande lagern wie stumme Wegweiser.

Petra Siering gehört zu den wichtigsten Bonner Künstlern, wurde unter anderem mit dem Kunstpreis der Stadt und dem Hans-Thuar-Preis ausgezeichnet und erhält im kommenden Jahr die August-Macke-Medaille. Die 59-Jährige, die mit anderthalb Jahren Kinderlähmung bekam und seitdem auf den Rollstuhl angewiesen ist, gehört zu den wenigen Künstlern, bei denen die zeichnerische, malerische Tätigkeit und die bildhauerische gleichberechtigt nebeneinander existieren.

Auch wenn sie abstreitet, dass die abstrakten Zeichnungen Vorstudien zu ihren Skulpturen sind, so bedingen sie doch einander, der Grundgedanke der Künstlerin ist auf beide Tätigkeiten übertragen. Denn Siering beschäftigt sich in ihren Arbeiten mit dem Raum.

"Was mich bei den Skulpturen interessiert, ist, mich darauf einzulassen was passiert, wenn ich ein Werkstück aus dem Zusammenhang löse. Was geschieht mit dem Zwischenraum, wenn ich zwei oder mehrere Elemente miteinander kombiniere?", erklärt sie und deckt einige Tonmodelle auf, die unter feuchtem Tuch liegen.

Hier am Tisch hat sie einzelne Steine nachmodelliert. Marmorblöcke, die sie in Carrara ausgesucht und nach ihren Vorstellungen hat schneiden lassen.

"Manchmal suche ich nach bestimmten Formen, über die ich mir vorher zeichnerisch Gedanken gemacht habe. Mal ist es ein Kernstück, ein anderes Mal ein eigenwilliges Fundstück, das mich interessiert", erzählt Siering. Es sind die abstrakten Formenwelten, die sie beschäftigen, der Stein selbst muss sie anregen zur weiteren künstlerischen Auseinandersetzung.

Und diese führt sie hier in aller Zurückgezogenheit mit sich selbst, formt aus Ton den Stein nach, dreht und wendet, kombiniert ihn mit anderen Formen oder Steinen, bis naturgegebene Oberfläche und die von der Künstlerin geschaffene Raumform eine neue Identität angenommen haben.

Siering spielt da gerne auch mit den scheinbaren Gegensätzen der schöpferischen Kreativität der Natur und ihrer eigenen, indem sie schon mal einen archaisch trotzenden Marmorblock mit all seinen Ecken, Rissen und Kanten aus Beton nachbaut und dem Original gegenübersetzt. Oder den Zwischenraum zwischen zwei nach oben geöffneten keilförmigen Blöcken mit Betonbalken auffüllt. Oder einen Stein ergänzt. Naturbruchkante gegen Betonfläche.

"Innerhalb / Außerhalb" heißt etwa eine Arbeit, bei der je zwei Blöcke aus Marmor und Beton einen halbgeschlossenen Raum bilden. Wie Wächter stehen sie sich gegenüber und schaffen so etwas wie eine aufgebrochene Zelle. Die zwei aufeinander lehnenden Scheiben aus dunklem Lava und hellem Beton ("Oberhalb / Unterhalb") dagegen strahlen eine geradezu religiöse Ruhe aus.

Die Nachbildung aus Beton ist aufwendig. Denn die Form muss zunächst aus Holzverschalungen zusammengeschraubt werden, bevor der Beton gegossen wird. Dafür braucht die Künstlerin tatkräftige Unterstützung von Assistenten und auch Studenten von Alanus Hochschule. Auf den Rollstuhl angewiesen zu sein hat sie nicht daran gehindert, das zu tun, was sie sich vorgenommen hat: Reisen durch Island, die Sahara, durch Australien und das Kunststudium in Köln.

Die großformatigen Zeichnungen sind für Siering "eine andere Formenwelt, weil freier und schneller umzusetzen". Wer sie bei der Arbeit beobachtet, merkt, dass die Bildhauerin in ihr lebt. Sie arbeiten mit großem Gestus, wenn sie Farbe mit dem Spachtel aufträgt, einzelne Schichten überstreicht, dann wieder frei schabt, ausdünnt, kratzt.

Mit Farbe geht sie sparsam um, es entstehen Schatten, verhüllte Formen, unscharfe Hintergründe. Was vorne und hinten ist, verschwimmt bei ihr. Ein sehr eigener Umgang mit Dimensionen, fern ab von jeglicher Realität. "Über die Jahre entstand eine Art Vokabular mit und an dem ich immer noch arbeite. Ich liebe es einfach, mit dem Raum zu spielen und mich darin zu bewegen." Die Grundsprache wurde ihr wohl in die Wiege gelegt, der Vater hatte einen Grafischen Betrieb, alle fünf Kinder erlernten künstlerische Berufe - und Petra Sierings 18-jährige Tochter hat ebenfalls Talent dazu.

Typisch Bönnsch

Ich mag Bonn, weil es ein weltoffenes Flair und Kulturangebote hat.

Lieblingsorte: viele Blickpunkte am Rhein, der Kottenforst.

Ich wünsche mir: Fortbestand internationaler Gastspiele, Wiederaufnahme der Theaterbiennale, Belebung der Künstlerszene durch bezahlbare Ateliers und regelmäßige Ausstellungen im Kunstmuseum.

Typisch: "Mehr Glück als Verstand". Bonn hat viele schöne Plätze und Orte, geprägt durch Natur und Geschichte, die trotz städtischer Planungsflops Bestand haben.

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