Biedermeier und ein Brandstifter Die abenteuerliche Wiederauferstehung des Steigenberger-Casinos

BONN · Alles fing damit an, dass der Kabarettist und Pantheon-Chef Rainer Pause die Wuppertaler Theatermacherin Martina Steimer an den Rhein lockte, als Künstlerische Leiterin seines Hauses verpflichtete und gleich mal laut nachdachte: "Eigentlich könnten wir doch noch gut eine zweite Spielstätte gebrauchen.

Etwas Kleineres, für schräge Sachen, mit Clubatmosphäre, auch für Nachwuchskünstler, die noch nicht das ganz große Publikum ziehen und noch keine Chance haben, das Pantheon-Theater zu füllen."

Zunächst enthusiastisch, dann zunehmend verzweifelnd zogen die beiden auf die Suche nach einer halbwegs passenden Lokalität kreuz und quer durch die Bundesstadt - nicht ahnend, dass sie schon gleich um die Ecke wartete, die ideale Lokalität, so wie das Pantheon tief unter der Erde, seit 20 Jahren versunken in einen Dornröschenschlaf.

Irgendwann bekommt der Hausmeister des benachbarten Bonn-Centers, in dem das Pantheon-Theater im Erdgeschoss seine Büros hat, das laute Nachdenken der beiden mit. Und fragt: "Warum nehmt ihr denn nicht das Casino?"

Casino? Was für ein Casino?

"Na, das ehemalige Casino vom Steigenberger-Hotel." Der Hausmeister stiefelt voran und greift nach dem dicken Schlüsselbund. Genau dort, wo sich das 18-stöckige Hauptgebäude und der fünfstöckige Querriegel berühren, geht es hinab, unter die Erde, tiefer und tiefer...

Das Casino war einst eine verschwiegene Bar des 1969 eröffneten Steigenberger-Hotels im Bonn-Center, ein Nachtclub mit Glücksspiel-Lizenz für Roulette und Black Jack, den wenigsten Bonner Bürgern bekannt, weil es vornehmlich der Zerstreuung der zahlungskräftigen Hotelgäste sowie der Prominenz aus dem nahen Regierungsviertel diente.

Auch Willy Brandt soll regelmäßig Gast im Casino gewesen sein und so wie andere Prominente aus Politik, Wirtschaft und Diplomatie den diskreten Nebeneingang durch eine Geheimtür im zweiten Untergeschoss der Tiefgarage zu schätzen gewusst haben.

Als die Steigenberger-Gruppe das Hotel im Bonn-Center 1988 aufgab, erwarb zwei Jahre später eine Dame namens Ilona W. bei der Stadt Bonn die Lizenz für den Barbetrieb und das Glücksspiel. Die Polit-Prominenz blieb allerdings fortan aus und machte vorwiegend arabischer Kundschaft Platz.

Um 2.44 Uhr in der Nacht zu Samstag, 7. März 1992, alarmierte der Pförtner des Bonn-Centers die Feuerwehr, weil dichter Rauch aus der Tiefgarage quoll. Die Wehrleute hatten in all dem Qualm einige Mühe, den genauen Brandherd zu lokalisieren. Vermutlich war auch ihnen die verschwiegene Bar unbekannt. Erst eine Stunde nach der Alarmierung brachen sie die Stahltür zum Casino auf - und fanden dort die verbrannte Leiche eines Mannes.

Die Kripo kam später zu dem Schluss, dass "leicht brennbare Flüssigkeit verteilt und entzündet wurde". Schließlich gelang es ihnen mit Hilfe der Rechtsmedizin, die völlig entstellte Leiche zu identifizieren: Hans-Wilhelm H, 35 Jahre alt - und selbst Inhaber eines Casinos in der Bonner Innenstadt unweit des Hauptbahnhofs. Nach den Ermittlungen der Kripo hatte er das Feuer bei der unliebsamen Konkurrenz gelegt - offenbar so gründlich, dass die rasch um sich greifenden Flammen dem Brandstifter den Fluchtweg versperrten.

Als Martina Steimer und Rainer Pause erstmals den zweigeschossigen, fensterlosen Kellerraum betreten, verschlägt es ihnen im positiven Sinne die Sprache: "Es roch überraschend gut. Wie frisch gelüftet. Keine Feuchtigkeit, kein Ungeziefer. Besenrein verlassen. Nur ein einzelner Jeton lag noch einsam irgendwo in einer Ecke rum."

Die beiden verliebten sich augenblicklich in das Objekt. Aber wem gehörte der Keller? Von wem konnte man ihn denn wohl pachten? Die Suche nach dem Eigentümer des Kellers benötigte wesentlich mehr Zeit als der anschließende Umbau. Denn das ewig lange insolvente Bonn-Center hatte häufiger den Besitzer gewechselt.

Pause: "Schließlich wurden wir bei der Bank of Scotland fündig." Die Vertragsverhandlungen zogen sich noch einmal vier Monate hin, und so blieb nur noch ein knapper Monat Zeit für den Ausbau zum Theater, weil man in der Zwischenzeit dem WDR versprochen hatte, den "Prix Pantheon" Ende April 2012 aus der neuen Heimstatt mit der edlen Adresse "Bundeskanzlerplatz 2-10" senden zu können.

"Die restlichen Feinarbeiten haben wir dann bei laufendem Betrieb erledigt", erinnert sich Martina Steimer in einer Mischung aus Stolz und Entsetzen. Rechtzeitig zum Silberjubiläum des Haupthauses im Oktober war dann aber alles so weit fertig. Die Künstlerische Leiterin ist ein wahres Organisationsgenie, bewies aber zudem in der Bauphase ungeahnte Talente als Innenarchitektin.

Das zentrale Schmuckstück, einen gewaltigen Kronleuchter aus bunten Plastikkugeln, trieb sie in Berlin auf, als der Pachtvertrag noch längst nicht in trockenen Tüchern war. So versperrte das Ungetüm erst einmal mehrere Monate lang das Büro des Chefs im Erdgeschoss des Bonn-Centers. Das Ergebnis des Keller-Umbaus: eine spektakuläre Mischung aus behutsam konserviertem, gelegentlich mittels röhrenden Hirschen und anderen biedermeiernden Accessoires auf die Spitze getriebenem Siebziger-Jahre-Flair - und einem kultigen Ruinen-Schick, den man so vielleicht in Berlin, aber nicht unbedingt in Bonn vermutet.

Die prominente schwedische Jazz-Sängerin Jessica Pilnäs, in der ganzen Welt zu Hause, konnte sich jedenfalls bei ihrem Auftritt im November gar nicht satt sehen an dem aufregenden Ambiente. Und die regelmäßige Live-Talkshow des WDR-Journalisten Wolfgang Zimmer hat seit dem Umzug vom Stiefel ins Casino deutlich gewonnen.

Dem Theater-Chef gefällt die neue Filiale noch aus einem ganz praktischen Grund: Neuerdings kann er sich nämlich problemlos als Phantom der Oper betätigen. "Wenn ich selbst im Haupthaus auf der Bühne stehe, kann ich in der Pause im Kostüm trockenen Fußes durch die Katakomben mal schnell rüber huschen, mich zum Barkeeper hinter die Theke gesellen und die Nachwuchs-Kabarettisten begutachten, die vielleicht einmal für den Prix Pantheon in Frage kommen."

Gesetzlich genehmigt sind im Casino maximal 199 Gäste, aber Pause und Steimer begnügen sich mit 80 Sitzplätzen - der Clubatmosphäre wegen. "Außerdem können wir ja die dicken Säulen, die hier überall herumstehen, nicht einfach so wegnehmen", bemerkt Rainer Pause trocken. "Da steht ja schließlich das Hochhaus drauf." Dieser Satz könnte allerdings auch von Pauses Bühnenfigur Fritz Litzmann stammen.

Casino-Termine und weitere Informationen unter: www.pantheon.de

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort