Die Befreiung der Farbe

Die Gruppe Konkret präsentiert sich in der Bonner Gesellschaft für Kunst - Bei Oltmanns in Unkel heißt es "Lasst Blumen sprechen" - Ilsetraut Glock zieht im Bad Godesberger Haus an der Redoute Bilanz

  Papierkästchen  werden zu Pretiosen: Arbeiten von Sabine Heinen.

Papierkästchen werden zu Pretiosen: Arbeiten von Sabine Heinen.

Foto: Franz Fischer

Bonn/Gesellschaft für Kunst und Gestaltung. (Ann-Kathrin Akalin) Eine leere Streichholzschachtel ist ihre Visitenkarte und gleichzeitig das "Grundmodul", das sie in ihren Arbeiten variiert und verfremdet. Die Bonner Künstlerin Sabine Heinen, 1968 in Neuwied geboren, presst die Schachteln, bemalt, ölt, füllt oder faltet sie, gießt Negativformen der Kistchen aus Gips oder Wachs. Sie entfremdet sie ihrer ursprünglichen Funktion und präsentiert sie wie kleine Schreine, die mal ihr Innenleben preisgeben, mal - mit der Rückseite nach vorne - ihren Inhalt verbergen. Ein schlichtes Papierkästchen wird, jeweils auf individuellem Hintergrund präsentiert, so zur Pretiose.

Der Künstlerin gelingt es, Gegensätzliches in ihren Werken in Einklang zu bringen: Die in Graunuancen gehaltenen, objektartigen Bilder strahlen Kühle und Distanz aus, gleichzeitig spielen sie mit Verborgenem und erhalten so eine Aura des Geheimnisvollen. Symmetrie und Klarheit in der Anordnung der Formen stehen der individuellen und spontanen Ausarbeitung der Schachteln und den lebendigen Strukturen der Untergründe, die an Granit und Marmor erinnern, gegenüber.

In Heinens Arbeiten, die sie jetzt gemeinsam mit den Bildern zweier weiterer Vertreter der Gruppe Konkret, Michael Biscup und Jo Kuhn, in der Gesellschaft für Kunst und Gestaltung zeigt, ist auch die Wirkung von Licht und Schatten einkalkuliert. Durch sie wird die Räumlichkeit der Bilder noch betont.

Glatt und industriell präsentieren sich die Farbfeld-Kombinationen von Michael Biscup, doch hinter der Fassade des Glasrahmens scheinen Strukturen und damit eine Handschrift durch. Der Künstler erreicht durch die Verwendung von Pigmenten eine intensive, lebendige Farbigkeit, die durch den Kontrast der monochromen Farbflächen noch unterstrichen wird. Diese sind in ihrer Zusammensetzung und damit in ihrer Beziehung zueinander variabel. Der Künstler selbst bezeichnet seine Bilder als "sanft vibrierende und atmende Farbleiber".

"Den Dialog zweier Farbflächen" thematisiert Jo Kuhn in seinen Bildern in Harzölfarbe auf kreidegrundierter Leinwand, in seinen Pastellbildern und Gouachen. Ihn interessieren Kontraste - zwischen bunten und gebrochenen Farben, warmen und kalten Farben, zwischen der Größe der Farbflächen. Kuhns Ziel ist die "Befreiung der Farbe aus der dienenden Funktion". Die Farbe steht für sich, ihr allein will sich der Künstler nähern. Sie soll sich nicht als deckender Film über den Malgrund legen, sondern sich mit dem Untergrund auf perfekte Weise verbinden. So entwickeln sich erst ihre Ausdruckskraft und ihre sichtbare Struktur. Drei unterschiedliche Ansätze, und doch treffen sich die Arbeiten der Künstler in einem Punkt - in ihrer meditativen Kraft.

Bis 24. April in der Gesellschaft für Kunst und Gestaltung, Hochstadenring 22, 53119 Bonn.

Unkel/Galerie Oltmanns. (Angelika Storm-Rusche) Nicht allein die Motive, auch die Lust der Maler an der Farbe verbinden die Bilder der Ausstellung "Lasst Blumen sprechen"; schließlich vereint auch das Schicksal, der "Verschollenen Generation" anzugehören, diese Künstler, derer auch sonst in der Galerie Oltmanns gedacht wird. In der Wahl der Farben, aber und ganz besonders im individuellen Pinselduktus zeigen sich dann doch sehr unterschiedliche Künstlertemperamente.

Allen voran überrascht Friedrich Einhoff, den man als Städte- und Industriemaler kennt, mit seinen lyrischen Blumenstillleben. Zuweilen bringt er sogar zwei Vasen mit verschiedenen Blumen auf eine Leinwand, als könne er sich selbst nicht an seiner Farbenpracht satt sehen. Während in den meisten Bildern kein direkter Verweis auf die Vergänglichkeit des Daseins steckt, lässt die "Weiße Kanne mit Blumen, Wecker und Gefäß" auf ein memento mori schließen: Die Uhr ersetzt das alte Symbol des Stundenglases.

Wer sich wie Einhoff, Maria von Heider-Schweinitz oder auch Karoline Wittmann an Sonnenblumen oder Iris, die Blumen des großen van Gogh schlechthin, heranwagt, muss sich seiner Malkunst sicher sein; und in der Tat steuern auch diese Maler schöne, eigenständige Blumenstillleben bei. Obstbaumblüten von Eva Gelden, Narzissen von Maria Heider-Schweinitz, Mohn von Willi Oltmanns, Gladiolen von Karoline Wittmann, ein Herbststrauß von Christl Maria Göthner verwandeln die Galerie gleichsam in ein Gewächshaus, in dem die Regeln der Jahrenzeiten außer Kraft gesetzt sind.

Galerie Oltmanns, Scheurener Straße 25, 53572 Unkel, bis 1. Mai; Di bis Sa 15 - 18.30 Uhr.

Bad Godesberg/Haus an der Redoute. (Christina zu Mecklenburg) Ein Bühnenbild in Schwarz und Weiß. Im mittelständischen Nordhausen war man erstaunt über den abstrakten Kommentar zu Schnitzlers "Anatol". Gewagt hatte dieses Bühnenbild eine im Theaterwesen noch unerfahrene Akademikerin, die in den frühen Nachkriegsjahren aus dem Westen in ihren thüringischen Geburtsort zurückgekehrt war.

Aus der jungen Bühnenbildnerin Ilsetraut Glock ist die "Nestorin rheinischer Malerei und Grafik" (Frank Günter Zehnder) geworden. Schwarz und Weiß, "Farben, die die ganze Welt umschließen" (Glock), und ein dynamisch, diabolisch, zuweilen auch erotisch schillerndes Rot sind bis heute die Protagonisten eines expressiv agierenden Farben-Ensembles. Aus freien Konturierungen wachsen metaphorische Lebenslandschaften und ein zwischen "Himmel und Hölle" (Zyklus) angesiedelter Figurenkosmos.

Im komplexen Ouevre der seit 1948 im Raum Bonn lebenden Künstlerin spielen Theatererfahrung, die Welt von Literaturen (nordische Mythologie, Shakespeare, E.A. Poe),etwa) und von Film (Fellini) eine entscheidende Rolle; hinzu gesellen sich Reflexionen zur Kunstgeschichte (Goya, Picasso) und nicht zuletzt eine kritische Auseinandersetzung mit dem Zeitgeschehen (Politik, Sport, Forschung).

"Die Zeit, Gesehenes, Erlebtes gehen durch mich hindurch", sagt die vielfach ausgezeichnete Künstlerin angesichts ihrer fünf Dekaden durchquerenden "Zeitreisen"; die Ausstellung im Godesberger Haus an der Redoute vermittelt Einblicke in spannungsträchtige Wechselwirkungen zwischen frühen Zeichnungen, Collagen, großen Zyklen und aktueller Malerei.

Das unter dem Aspekt "Merk-Würdigkeiten" gebündelte Bildmaterial (60 Exponate aus privaten und musealen Beständen Nordhausens und Bonns) skizziert markante Wegstationen, filtert gleichzeitig den Sinn für Abgründiges, Abseitiges und Absonderliches heraus. Durch den Golfkrieg inspirierte "Tagbilder" (August Macke Medaille 1991) entfesseln in suggestiver Manier Gespenster der Vergangenheit einer bald neunundachtzigjährigen Künstlerin. Den Gegenpol zu existenziellen Dramen bilden einsame Ruinen- und Wüstenlandschaften, aus denen der lyrisch geprägte Zyklus "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" (Farbradierung, Aquatinta) hervorgeht.

Haus an der Redoute, Kurfürstenallee 1a, bis 22. April. Di. bis So. 10 bis 17 Uhr.

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