Arp Museum Rolandseck Die gehäutete Kreatur

REMAGEN · Petra, Egon und Andrea kauern nackt wie Primaten oder Urmenschen in Bronze erstarrt vor dem Bahnhof Rolandseck unweit der Skulptur "Tanzgeschmeide" von Hans Arp: Zwei Welten, die keine Berührung miteinander haben.

 Brachiales Schnitzwerk: Aron Demetz' Figuren, die schon auf der Biennale in Venedig zu sehen waren.

Brachiales Schnitzwerk: Aron Demetz' Figuren, die schon auf der Biennale in Venedig zu sehen waren.

Foto: Franz Fischer

Der Südtiroler Aron Demetz hat seine urige Gruppe, für die gleichwohl Menschen aus Demetz' Umfeld Modell standen, "Homo erectus" genannt. Im Entree des Arp Museums erleben wir die nächste Daseinsstufe: Der aufrechte Gang führt direkt zum gesenkten Blick, zur leicht demütigen Haltung zweier nackter Männer aus Fichtenholz vor einem mächtigen Beichtstuhl. Demetz ist kein Freund zu tiefer Interpretationen - die würden in diesem Fall ins Uferlose führen. Es geht etwa um die verletzliche Kreatur, um katholische Kirche und Kirchenkunst, um das Schnitzen von Heiligen, Madonnen und Schmerzensmännern.

Der Südtiroler hat damit seine Karriere begonnen, der Werkstoff Holz ist ihm vertraut wie kein anderes Material, und der Beichtstuhl stammt aus der Kirche seiner Heimatgemeinde. Das Erdverbundene zieht sich wie ein roter Faden durch sein Werk, seine Figuren bleiben, wenn auch gleichsam gehäutet, verbrannt, grob mit der Motorsäge bearbeitet oder von Higt-Tech-Computerfräsen aus dem Stamm geschält, in der Sphäre traditioneller Schnitzerei.

Jutta Mattern, die Kuratorin der Ausstellung, lernte Demetz' Kunst 2009 auf der Biennale in Venedig kennen. Im italienischen Pavillon war eine Gruppe aus sechs unterschiedlich differenziert aus dem Zedernstamm gearbeiteten, aufrecht stehenden nackten Figuren zu sehen, über die teilweise Fichtenharz gegossen wurde. Es ist Demetz' mit Abstand beste Arbeit - zu bewundern jetzt im Bahnhof Rolandseck. Es ist faszinierend, wie dieses dunkle Harz mal heilend wirkt, indem es dem enthäuteten Holz eine neue Schicht gibt, und mal Verletzungen des Holzes markiert. Erschütternd etwa bei einer weiblichen Figur: Harzblut sickert aus den Augen, von den Brüsten und der Schamgegend herab. Ein mittelalterliches Martyrium. Die Drastik, das individuelle Drama, das diese lebensgroßen Statuen ausstrahlen, die bildhauerische Wucht bleiben in dieser Schau eine Ausnahme, sieht man einmal von einer Gruppe verkohlter Holzstatuen ab.

Demetz' neuere Arbeiten thematisieren zwar die Verletzung des Holzes, bleiben aber eher glatt und artifiziell. Etwa die neue, extra für Rolandseck geschaffene Gruppe "Memoridermata": Neun Schaufensterpuppen-artige lebensgroße Lindenholzfiguren - vier nackte Männer und fünf nackte Frauen - teilen sich eine Bühne. Die auf gescannten Körpern basierenden, mit einer Computer-Fräsmaschine hergestellten Statuen sind unterschiedlich "fertig": Hier perfekte Glattheit, dort lange Holzfasern, die sich wie Fellstücke auf dem Körper ausbreiten, zu wuchern scheinen. "Man kann diese Figuren als Baum oder Mensch sehen", sagt Demetz zu der "kontrollierten Oberfläche", die auch "die animalische Seite" zur Geltung bringt. Demetz' hölzerne Figuren irritieren den Betrachter: Das idealtypische Menschenbild befremdet, das handwerklich perfekte, sehr realistische Schnitzwerk wirkt anachronistisch.

Man verlässt also das Arp Museum in stiller Bewunderung für die Erfindung der Abstraktion durch Arp & Co.

Arp Museum Bahnhof Rolandseck, Remagen; bis 11. Januar 2015. Di-So 11-18 Uhr

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