Schau im Kunstmuseum Bonn bis 17. Januar Die Geschichte des Fernsehens aus künstlerischer Sicht

Bonn · Der Leipziger Medienkünstler Stefan Hurtig hat sich sechs Jahre von Klums Model-Show angeschaut, jeweils "Ich habe heute leider kein Foto für dich" in kleinen Variationen herausgeschnitten und lässt das im Kunstmuseum als Endlosschleife laufen - dazu dreht sich ein in Ketten gelegter Monitor.

 Am medialen Lagerfeuer (oben) ist Gemütlichkeit gefragt, Tobias Rehberger inszeniert sie. Günther Uecker nagelte 1963 einen Fernseher zu, Draeger/Reynolds zeigen Katastrophen-Fernsehen.

Am medialen Lagerfeuer (oben) ist Gemütlichkeit gefragt, Tobias Rehberger inszeniert sie. Günther Uecker nagelte 1963 einen Fernseher zu, Draeger/Reynolds zeigen Katastrophen-Fernsehen.

Der schöne, rote Mund täuscht, die Botschaft ist vernichtend: "Ich habe heute leider kein Foto für dich." Acht Worte, die aus dem Mund von Heidi Klum gesprochen eine mediale Hinrichtung bedeuten. Zumindest für die angesprochene Kandidatin von "Germany's Next Top Model", die nach den Worten raus ist. Ohne Foto. Der Leipziger Medienkünstler Stefan Hurtig hat sich sechs Jahre von Klums Show angeschaut, jeweils "Ich habe heute leider kein Foto für dich" in kleinen Variationen herausgeschnitten und lässt das im Kunstmuseum als Endlosschleife laufen - dazu dreht sich ein in Ketten gelegter Monitor mit dem roten Sprechmund. Sechs Jahre Klum gucken: Für den ohnehin eigentlich nicht TV-affinen Dieter Daniels ist das ein Albtraum, für Stephan Berg mehr oder weniger geliebter TV-Alltag - er hat Töchter.

Kunstmuseumsintendant Berg und der Medienwissenschaftler Daniels, 1984 Mitgründer der Bonner Videonale, ist eine herausragende, so anspruchsvolle wie kurzweilige, didaktisch ausgeklügelte wie auch sehr spielerische Ausstellung über ein höchst komplexes Thema gelungen: Kunst und Fernsehen. Das Ganze unter Ausblendung der klassischen Videokunst. Es geht um die Medienrevolution, die in den 1960er Jahren mit dem Einzug des Fernsehens in die Wohnzimmer begann, ein Massenmedium, das die Gesellschaft und die Wahrnehmung der Welt tiefgreifend veränderte. "TeleGen", so der Titel der Schau, zeigt, wie sich die Kunst mit den TV-Inhalten, dem Informationstempo und Unterhaltungspotenzial, mit der Haltung und Rolle des Zuschauers und den Formaten, die das Fernsehen als eigene kulturelle Leistung entwickelt hat, auseinandersetzt.

Die Anfänge sind experimentell, spielerisch, ironisch, wild: Der zentrale Raum zeigt, wie Nam June Paik mit manipulierten Monitoren eine eigene neue Bildsprache entwickelte, wie Wolf Vostell das flimmernde Medium wie eine Intarsie in seine Schrottkunst integrierte oder gleich öffentlich begrub, während sich Günther Uecker mit Hammer und Nägeln an einem Fernseher abarbeitete. Es ist ein mehr oder weiger brachiales Abtasten des Mediums nach dessen skulpturalen und künstlerischen Möglichkeiten, gekoppelt an einen geradezu visionären Ansatz: TV als Fetisch, die Mattscheibe als Götzenbild. Eher inhaltlich gehen die Amerikaner mit dem Fernsehbild um: Die Ausstellung lässt Bruce Conners bildmächtige Collage aus Aufnahmen rund um das Kennedy-Attentat in Dallas, verwoben mit Stierkampfsequenzen, auf eine Bilder- und Text-Strecke Andy Warhols treffen. Hier höchste Emotion, dort die mediale Ausschlachtung mit suggestiven Fotos und neuesten Meldungen zum Attentat aus dem Nachrichten-Ticker. Dieses Erfolgsmuster aus Aktualität, einer emotional sowie bildmächtig erzählten Geschichte und Tempo zieht sich durch die gesamte Ausstellung bis hin zu den neuesten Arbeiten.

Wie ein Kranz legt sich die künstlerische Gegenwart um den historischen Kern von "TeleGen": Mit Kapiteln wie "Das elektronische Lagerfeuer", "Talk Talk Talk", "TV-Opfer", "Any News is Good News" und "Serienjunkies" wird der riesige TV-Komplex zugänglich gemacht. Das kann ironisch-skulptural ablaufen, wie bei Tobbias Rehberger, der eine Umgebung entwickelte, in der sich TV faul und mühelos konsumieren lässt, mit "sweets, Coke and vaseline", wie er meint. Es gibt auch den subversiven Zugang: Der texanische Medienkünstler Mel Chin ließ in den 1990er Jahren seine Studenten den Filmset der Serie "Melrose Place" infiltrieren und Dinge ohne das Wissen des Produzenten in den Folgen platzieren. Unsinnige Flaschenlabels, ein Bild vom Todeshaus der Monroe und dergleichen mehr kamen so in die beliebte Serie. An der Original-Theke von "Melrose Place" kann man sich einen Zusammenschnitt der Unterwanderungen durch die TV-Guerilla ansehen.

Die Ausstellung bietet Stoff für viele Stunden. Der reicht von Christopf Schlingensiefs begnadeter TV-Show "Talk 2000", die im Jahr 1997 einen überaus brillanten Harald Schmidt zu Gast hatte, über die hinreißende Anchorfrau von "NY1" Annika Pergament (die gibt es wirklich), die im nüchternen Nachrichten-Sprech Christian Jankowskis Kunst erläutert, bis hin zu Ulrich Polsters Geschichte des Jugoslawienkriegs. Vom Ausbruch 1991 bis zum Massaker von Sebrenica im Juli 1995 erstreckte sich die zweistündige Montage des Schreckens auf sieben Monitoren. Berichte, die in der ARD liefen und vor allem eines dokumentieren: Der stetige Fluss der Bilder führt zur Gleichgültigkeit, die Wirkungslosigkeit ist erschreckend.

Künstler wie Christoph Draeger und Reynold Reynolds bedienen sich des aggressiven Nachrichtenformats mit laufenden Schriftbändern und einem panisch hyperventilierenden Moderator, um einen Endzeit-Thriller zu präsentieren, in dem passiert, was passieren kann: Big Ben zerbombt, Aliens im Weißen Haus, und hinter dem Moderator kracht die Spitze des Chrysler-Building auf die Straße. Vieles, was in der Ausstellung zu sehen ist, ist spannender als das, was man im sich gegenwärtig allmählich auflösenden Medium Fernehen selbst erlebt.

Die Kunst blickt vergnügt, verwundert und analytisch auf ein bereits historisches Fossil.

Kunstmuseum Bonn; bis 17. Januar. Di-So 11-18, Mi bis 21 Uhr. Katalog 35 Euro

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