Interview mit Forscher Abdel-Hakim Ourghi "Die Islamkritik muss zum Islam gehören"

Mit der Frage "Was wollte Mohammed?" beginnt heute um 18 Uhr die phil.Cologne. Beantwortet wird sie vom promovierten Freiburger Islamwissenschaftler Abdel-Hakim Ourghi (Jahrgang 1968).

Abdel-Hakim Ourghi leitet an der PH Freiburg die Abteilung für Islamische Theologie und Religionspädagogik.

Abdel-Hakim Ourghi leitet an der PH Freiburg die Abteilung für Islamische Theologie und Religionspädagogik.

Foto: privat

Der gebürtige Algerier gilt als einer der führenden Koran-Experten und sprach vorab mit Hartmut Wilmes.

Herr Ourghi, wollte Mohammed, dass seine Anhänger Andersgläubige vor laufender Kamera enthaupten oder in Käfigen verbrennen?

OURGHI: Bei diesen Menschen handelt es sich um eine Minderheit von Extremisten oder Salafisten, deretwegen man nun nicht alle Muslime unter Generalverdacht stellen darf.

Und Mohammed?

Ourghi: Ihn kann man zum einen als Verkünder einer Religion verstehen, was die Zeit von 610 bis 622 betrifft. Nach seiner Auswanderung von Mekka nach Medina haben wir es mit einem Staatsmann zu tun, der immer wieder Gewaltmaßnahmen gegen Andersgläubige, gegen Juden und Christen ergriffen hat. Und es ist schon die Aufgabe der Muslime, diese Gewaltaspekte nicht mehr auszublenden. Dazu gehört auch, bestimmte Verse des Korans als zeitbedingt zu betrachten.

Das Christentum hatte ja auch sehr unduldsame Phasen, bevor es durch den Filter der Aufklärung lief. Fehlt diese Relativierung der Religion dem Islam?

Ourghi: Der Islam hinkt derzeit einer modernen Renaissance und einer kritikfähigen Aufklärung hinterher, weil der Glaube eben keine Privatsache ist. Der Kern der westlichen Aufklärung, die Freiheit des Individuums, wird seit Jahrhunderten von konservativen Gelehrten und politischen Despoten beschlagnahmt.

Die katholische Kirche hat einen Papst und Konzilien. Fehlen dem Islam solche verbindlichen Instanzen?

Ourghi: Dieser Pluralismus muss kein Nachteil sein, im Gegenteil. Wir haben in der Tat nur die kanonischen Quellen, den Koran und die Tradition des Propheten, die inzwischen auch umstritten ist. Es gab vom achten Jahrhundert bis heute immer wieder Reformversuche des Islam, die von den Reformern aber oft mit dem Leben bezahlt wurden. Eine Reform im europäischen Kontext erfordert eine historisch-kritische Lektüre dieser Quellen, um etwa den Herrschaftsanspruch des Islam zu hinterfragen und seine ethisch-humanistische Kraft wiederzubeleben.

Der vorherige und der jetzige Bundespräsident haben erklärt, dass der Islam inzwischen zu Deutschland gehöre. Was halten Sie von diesem Satz?

Ourghi: Solche mutigen Sätze sind Balsam auf die Seele der hier lebenden Muslime. Natürlich gehört der Islam seit dem siebten Jahrhundert in Spanien zu Europa. Allerdings: Ein Islam ohne Islamkritik gehört nicht zu Deutschland, und ein Islam als Ideologie der Macht ist in Europa zum Scheitern verurteilt.

Was müsste sich ändern, um den Islam mit westlichen Demokratien verträglich zu machen?

Ourghi: Ersten muss die Freiheit des Individuums als höchstes Gut auch im Islam verankert werden. Konstruktive Kritik an der Religion darf nicht mehr als Beleidigung aufgefasst werden, damit die Muslime nicht mehr unbewusst in die Opferrolle geraten. Und ein Beharren auf dem universalen Wahrheitsanspruch des Islam bedeutet Intoleranz gegenüber andern Religionen oder Nichtgläubigen.

Nun gibt es aber Länder, wo der Islam Staatsreligion ist und von der Politik auch als Herrschaftsinstrument genutzt wird. Da sieht es für die Reform finster aus...

Ourghi: Wir reden dabei etwa von Saudi-Arabien und den Golfstaaten. Da haben wir es mit einer Doppelmoral zu tun: Der "grausame Islam" und die Scharia gelten nur für die arme Bevölkerung, die Herrschenden verhalten sich nicht islamisch. In Deutschland, wo die Muslime in der Minderheit sind, ist das grundsätzlich anders, da kann der Dialog Brücken zu anderen Religionen schlagen.

Wer sollte hierzulande Träger dieses Gesprächs sein?

Ourghi: Ich bin ein Kritiker der muslimischen Dachverbände in Deutschland, die, wie etwa die DITIB, von staatlichen Stellen aus den Herkunftsländern gesteuert werden. Wir brauchen einen Rat der Muslime, wo Vertreter aller Couleur zugelassen sind, und das hat mit dem Muslimischen Forum Deutschland begonnen.

Wie optimistisch sind Sie für die notwendige Reform?

Ourghi: Sie kann gelingen, wenn der Islam sich nicht mehr als militante Gemeinschaft versteht, die eine Herrschaft über die ganze Welt erstrebt. Zweitens muss der Islam als geistig-individuelle Bindung zwischen dem Menschen und Gott verstanden werden. Er ist eine religiöse Ethik mit spiritueller Werten.

Zur Person

Abdel-Hakim Ourghi leitet den Fachbereich Islamische Theologie und Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Freiburg. Forschungsschwerpunkte sind Koranforschung, sunnitisches Fatwawesen, die Ibaditen in Nordafrika sowie Islamische Theologie. Seit 2009 widmet er sich dem Habilitierungsvorhaben mit der Habilschrift "Der Dialog zwischen Gott und dem Teufel. Eine entmythologisierende Hermeneutik" (Arbeitstitel).

Festival-Tipps

Zum Auftakt der dritten phil.Cologne spricht heute um 18 Uhr (WDR, Kleiner Sendesaal) Abdel-Hakim Ourghi (siehe Interview). Über "Sterben für Allah. Sterben für Gott" diskutieren morgen (21 Uhr, Stadtgarten, Venloer Str. 40) Lamya Kaddor und Eberhard Schockenhoff. Beide Veranstaltungen moderiert Joachim Frank.

Das Festival bleibt seinem weiten Philosophiebegriff treu. "Wie wahr sind unserer Träume?" fragen heute (19.30 Uhr, St. Peter, Jabachstr. 1) Wissenschaftsautor Stefan Klein und Philosoph Christoph Türcke. "Wau! Zur Philosophie des Hundes" ist der morgige Abend (18 Uhr, Balloni-Hallen, Ehrenfeldgürtel 88-94) beschrieben. Teilnehmer: Andreas Weber, Martin Rütter und Pudelterrier Erbse.

Über die Frage "Wie selbstbestimmt sind wir?" wollen sich der Soziologe Harald Welzer und der Rechtsphilosoph Reinhard Merkel morgen streiten (21 Uhr, Balloni-Hallen), während Barbara Vinken und Heinz Bude sich am Freitag (18 Uhr, St. Peter) mit der "Philosophie der guten Ehe" befassen. "Wie rette ich ein Land", fragt Griechenlands Außenminister Nikos Kotzias (18 Uhr, Freitag, WDR, Klaus-von-Bismarck-Saal).

"Endlich! - vom Leben mit dem Tod" ist das große Thema am Samstag (21 Uhr WDR, Klaus-von-Bismarck-Saal. Bergsteiger Reinhold Messner, Politiker Franz Müntefering sowie Torsten Nahm, der nach seinem Tod eingefroren werden möchte, und Philosophin Saskia Wendel stellen sich den letzten Dingen. Mit dabei: Slammer Quichotte, Pianist Michael Gees und Sänger Ulrich Schütte.

Mehr Informationen gibt es unter www.philcologne.de

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