Rock am Ring 2016 Die Mutter aller Festivals

MENDIG · Am Freitag startet die 30. Auflage von Rock am Ring. Das Schlachtschiff unter den deutschen Großveranstaltungen bleibt auch am neuen Standort Mendig Kult und zieht die Massen an. Während einige kleinere Festivals die Segel streichen müssen, spielt Organisator Marek Lieberberg nach wie vor eine Hauptrolle bei den Big Playern der Branche.

Rockmusik hat schon immer Menschen in Bewegung gesetzt. Vom Elvis'schen Hüftschwung bis zum Metal-Headbangen sind die Formen so verschieden wie die Musikstile, die sich über die Jahrzehnte herausgebildet haben. Am kommenden Wochenende wird vor allem Hüpfen wieder en vogue sein, wenn fast 100.000 Menschen zur Mutter aller deutschen Musikfestivals reisen werden: Rock am Ring.

Zum zweiten Mal wird dann am neuen Standort Mendig die grüne Wiese (und die Rollfelder des alten Militärflughafens) mitten in der Vulkaneifel von einer Menschen-, Technik- und Infrastrukturmasse eingenommen, die als dauerhafte Einrichtung die Bezeichnung Großstadt tragen würde. Unter den Umständen der Eventkultur reichen die Beschreibungen für das dreitägige Spektakel lediglich von „eingezäunter Anarchie“ bis zu „Mekka für Musikfans“. Die Wahrheit liegt, wie so oft, irgendwo in der Mitte und ist höchst individuell.

Gerade Rock am Ring zieht die unterschiedlichsten Typen an: Die Dosen-Ravioli-Party-Fraktion, die schon Tage vorher im Hasenkostüm anreist, eine ganze Wohnzimmereinrichtung samt Kühlschrank und Disco-Anlage mitbringt; die Musikfans, die möglichst viel Neues aufsaugen (und dabei möglichst viel Bier trinken) wollen; die Veteranen, die schon beim ersten Mal dabei waren und das ganze Spektakel routiniert überblicken; die Nobel-Camper, die immer frisch geduscht aus ihren Wohnmobilen kommen und niemals ein Dixi benutzen könnten und, und, und.

Was alle eint und verbindet ist nicht nur, dass sie in der Woche nach dem Festival mindestens einen Tag Urlaub brauchen, sondern vor allem mehr oder weniger aus den selben Gründen gekommen sind: der Musik wegen und diesem ganz speziellen Kult, der Rock am Ring umweht.

Der "Event-Messias" verlässt seine Agentur

Die Marke scheint dermaßen stark zu sein, dass der durchaus kritische Wegzug vom Nürburgring nach Mendig der Begeisterung der Fans nicht geschadet hat. Schon im Februar vermeldete die federführende Konzertagentur MLK: ausverkauft. Und das, obwohl der Gründer und Erfinder von Rock am Ring, Marek Lieberberg, der sich beim Abschied vom Ring im Jahr 2014 noch als eine Art Event-Messias feiern ließ, 2015 verkündet hatte, seine eigene Agentur gemeinsam mit Sohn André zu verlassen und als Deutschlandchef zur amerikanischen Firma Live Nation zu wechseln.

Denn dort scheinen die Mittel und Möglichkeiten unbegrenzt: Der Branchenriese veranstaltet nicht nur Großereignisse und ist Eigentümer des US-Kartenmonopolisten Ticketmaster, sondern betreibt auch zahlreiche Veranstaltungsstätten und managt Stars wie U 2 oder Madonna. „Ein Teil von Live Nation zu sein, ist der Traum eines jeden Veranstalters“, ließ sich Lieberberg zitieren.

Sein Baby hat er dennoch nicht alleingelassen: In Bezug auf Rock am Ring erklärte Lieberberg Anfang des Jahres, er werde das Festival trotz seines Postens bei Live Nation „weiter organisieren, als wäre ich noch Teil der Marek Lieberberg Konzertagentur“. Was allerdings nach der diesjährigen Auflage geschieht, scheint offen. In der verschwiegenen Branche wurde schon gemunkelt, dass Lieberberg sich mit dem omnipräsenten Brause-Riesen zusammentun und auf dem „Red-Bull-Ring“ im österreichischen Spielberg ein Festival der Superlative veranstalten könnte, bei dem die 100.000-Zuschauer-Marke geknackt werden solle.

Lieberbergs Selbstverständnis ist jedenfalls trotz oder gerade wegen seiner mittlerweile 70 Jahre ungebrochen. In Bezug auf Rock am Ring sagte er Anfang des Jahres: „Ich denke, ungeachtet derjenigen, denen vielleicht juristisch die Rechte gehören mögen, ist jedem bekannt, wer für das Festival verantwortlich ist, wer es groß gemacht hat. In diesem Punkt habe ich viel Selbstvertrauen und glaube, dass das Publikum mir folgen wird, wohin ich auch gehen mag.“

Gigantismus bei den Großen der Branche

Die Tendenz der Branche geht derzeit immer mehr in Richtung Gigantismus. Heute endet mit Rock im Revier in Dortmund das Festival der Konzertagentur Deag, die mit dem „Grüne-Hölle“-Festival eigentlich die Lieberberg-Nachfolge auf dem Nürburgring antreten wollte, vergangenes Jahr mangels Zuschauerzuspruch gescheitert ist und ins Revier zog.

Während das Line-Up in Dortmund (und beim Schwesterfestival Rockavaria in München) mit Namen wie Slayer und Iron Maiden deutlich Richtung Metal tendiert, orientiert sich Rock am Ring (und Rock im Park in Nürnberg) wie gewohnt insgesamt eher an einem breit gefächerten Spektrum und präsentiert als Headliner Black Sabbath und die Red Hot Chili Peppers, während die Agentur FKP Scorpio sich für ihre Schwesterfestivals Hurricane und Southside schon früh die Dienste von Rammstein sicherte.

Was manchem Fan die Entscheidung für ein Festival bei Ticketpreisen von deutlich mehr als 100 Euro schwermacht, offenbart auch einen knallharten Wettbewerb im Hintergrund: Manche der genannten Bands dürften Gagen im siebenstelligen Bereich für ihre Auftritte erhalten. Um jeden Act, der als Zugpferd für eine fünfstellige Besucherzahl funktioniert, wird bis zur Unvernunft gefeilscht. Auf der Strecke bleiben mehr und mehr die kleineren Festivals, die diesen Preiskampf – ohne große Sponsoren im Rücken – nicht mitgehen können, obwohl sie stets gute Publikumsresonanz hatten.

Kleinere Festivals streichen die Segel

Walent Cerkez, Organisator des Serengeti-Festivals, das in Ostwestfalen mehr als 10.000 Zuschauer für die Mischung aus Freizeitpark und Konzertveranstaltung begeistern konnte, sagte der Musikzeitschrift „Visions“: „Steigende Gagen, höhere Produktionskosten und eine weitgehende Kontrolle der Festivallandschaft durch wenige Großkonzerne haben zu einer Situation geführt, in der ein unabhängiges Open Air im Format des Serengeti-Festivals nicht mehr nachhaltig und budgetär seriös arbeiten kann.“ Kein Einzelfall.

Den Fans in Mendig wird das in einer Woche egal sein. Sie werden sich eher freuen, dass Lieberberg und seine Mitstreiter dafür gesorgt haben, dass es dieses Jahr im Gegensatz zu 2015 ausreichend Campingflächen gibt. Schließlich muss man sich ja auch ausruhen können vom Springen, Headbangen oder Biertrinken.

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