Die schöne Schlafende im Rheinischen Landesmuseum

Michelangelos Studie "Leda" wird in Bonn in faszinierenden historischen und politischen Kontext der zweiten Florentiner Republik gestellt

Die schöne Schlafende im Rheinischen Landesmuseum
Foto: Rheinisches Landesmuseum

Bonn. Der Kopf ist leicht geneigt, die Schöne im tiefen Schlaf. Eine der berühmtesten Zeichnungen von Michelangelo, die Studie der schlafenden Leda, zeigt, mit welcher Akkuratesse und beinahe Zärtlichkeit sich der Künstler dem Motiv genähert hat.

Über den Hals, die Kinnpartie entlang bis zu Mund, Nase und Augen steigert sich die Dichte der feinen Rötel-Striche. Während die Kopfbedeckung nur sparsam angedeutet ist, konzentriert sich die ganze Aufmerksamkeit auf die zentralen Partien des Gesichts.

Eine zweite Zeichnung auf dem selben Blatt greift sich ein Detail heraus, ein langwimpriges Auge der Schlafenden und die geschwungene Braue. Michelangelos zwischen 1529 und 1530 entstandene Zeichnung verrät den passionierten Bildhauer, denn das Gesicht erscheint wie aus Marmor modelliert, Licht- und Schattenspiel, die Plastizität schlechthin interessierten ihn offensichtlich.

Wahrscheinlich erstmals überhaupt - Pina Ragionieri, Direktorin der renommierten Fondazione Casa Buonarotti in Florenz, ist sich da ziemlich sicher - ist dieses berühmte Blatt in Deutschland zu sehen, zusammen mit fünf weiteren Zeichnungen Michelangelos aus der Casa Buonarotti. Eine echte Sensation und ein Schmuckstück in der kleinen Zeichnungs-Reihe des Rheinischen Landesmuseums.

Das Blatt der Schlafenden - das allein schon einen Besuch der exzellenten Ausstellung lohnt - leitet gemeinsam mit einer nur zwölf Zentimeter großen gezeichneten Armstudie über zu einem der zentralen Gemälde Michelangelos, der "Leda mit dem Schwan".

Das Bild, das eine der bekanntesten Verführungsszenen der Mythologie aufgreift - Zeus nähert sich Leda in Gestalt eines Schwans -, ist verloren. 2,5 Meter breit und 1,6 Meter hoch war es, und es muss seit der Mitte des 16. Jahrhunderts eine große Anziehungskraft auf Michelangelos Künstlerkollegen ausgeübt haben. Cornelis Bos und Étienne Delaune haben frühe Stiche nach Michelangelos Leda geschaffen, dem Florentiner Maler Francesco Brina wird eine um 1575 entstandene gemalte Kopie zugeschrieben.

Alle drei Werke flankieren die Michelangelo-Zeichnungen in der Bonner Ausstellung. Für die Beliebtheit des Originals sprechen ferner eine Kopie aus dem Umkreis von Rosso Fiorentino in der National Gallery London sowie eine herrliche Kopie des jungen Rubens in der Dresdener Gemäldegalerie (beide nicht in der Ausstellung).

Die Kopien zeigen einen Maler, der nicht nur mit schönen Gesichtern experimentiert, sondern die Spannkraft und Anmut nackter Körper ausreizt. In der Medici-Kapelle, an der Decke und Altarwand der Sixtina hat Michelangelo diese athletischen Akte schon zelebriert, bei Leda, die sich wie auf einen Divan hingegossen förmlich dem elegant geschwungenen Schwan hingibt, wird das Ganze zum exquisiten, erotischen Kabinettstück.

Ein solches wohl wünschte sich Alfonso d`Este, Herzog von Ferrara, für seinen Palast. Es sollte "etwas von Michelangelos Hand" sein. Ebenso ist überliefert, dass der Auftraggeber das Werk nie erhielt. Der Emissär, den Alfonso nach Florenz schickte, kam dem Meister Michelangelo angeblich so dumm, dass der als kapriziös und aufbrausend bekannte Maler ihn unter Verzicht auf das Honorar ohne Bild wieder nach Ferrara schickte.

"É pocca cosa" soll der Abgesandte gesagt haben, ihm war wohl zu wenig auf dem Bild zu sehen. Michelangelo gab es seinem Schüler Antonio Mini - der soll, neuen Forschungen zufolge, dem Meister als Gesichtsmodell für die Leda gedient haben - mit auf die Reise. Die führte 1532 an den Hof des französischen Königs Franz I. nach Fontainebleau. Der kunstsinnige Monarch soll das Werk gekauft haben. Doch das Ende ist tragisch: Anna von Österreich, der Mutter von Ludwig XIV., war die Leda zu obszön; sie ließ das Bild zwischen 1642 und 1643 zerstören.

Das Landesmuseum bettet die Leda-Zeichnungen in eine faszinierenden historisch-politischen Kontext. 1527 waren die Medici aus Florenz vertrieben worden, man rief die zweite Republik aus. Der Medici-Freund Michelangelo stand vor einem quälenden Loyalitätskonflikt - und entschied sich für den riskanteren Weg, die Republik.

Man berief ihn 1529 zum Generalbevollmächtigten für den Bau der Befestigungen rund um Florenz. Schon im September 1528 hatte er Pläne für eine Bastion vor der Porta al Prato di Ognissanti gezeichnet, die als Meisterwerke der Festungsarchitekturzeichnung gelten und gleichwohl auch als autonome, geradezu aggressive Formfindungen Bestand haben.

Die ganze Zerrissenheit jener krisenhaften Zeit schlägt sich in diesen nie realisierten Festungs-Plänen nieder, die gemeinsam mit der Computeranimation der TU Darmstadt die kleine Bonner Michelangelo-Schau zu einem sehr dichten Erlebnis machen.

Rheinisches Landesmuseum, Colmantstraße 14-16; bis 28. Oktober. Di-So 10-18, Mi 10-21 Uhr. Katalog 12.80 Euro

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