Premiere: Ravel-Opern in Köln Die Uhr geht ticktack, ticktack!

Köln · Béatrice Lachaussée inszeniert Maurice Ravels „Spanische Stunde“ und „Das Kind und der Zauberspuk“ in der Kölner Oper. Das Premierenpublikum spendet allen Beteiligten ausdauernden Beifall.

 Wem die Stunde schlägt: Tomislav Lavoie als Don Iñigo Gomez, Katrin Wundsam als Concepción. FOTO: PAUL LECLAIRE

Wem die Stunde schlägt: Tomislav Lavoie als Don Iñigo Gomez, Katrin Wundsam als Concepción. FOTO: PAUL LECLAIRE

Foto: Köln

Wem die Stunde schlägt, der stört sich nicht am asynchronen Ticken einer ganzen Reihe von Metronomen auf der Brüstung des Orchestergrabens. Die setzt nämlich François-Xavier Roth eins nach dem anderen in Gang, bevor er zum Pult des Gürzenich-Orchesters schreitet, um Ravels „Spanische Stunde“ zu dirigieren, den ersten Teil des von Béatrice Lachaussée inszenierten Premierenabends im Staatenhaus der Kölner Oper.

Die Metronome geben bald wieder Ruh, aber die Kurzoper schnurrt wie eine aufgezogene Uhr weiter. Unter Glockenschlägen und Kuckucksrufen entspinnt sich die schlichte Handlung: Concepción (Katrin Wundsam), die Frau des vertrottelten Uhrmachermeisters Torquemada (John Heuzenroeder), nutzt dessen Abwesenheit, um drei potenzielle Liebhaber hin- und herzuschieben, bevor sie mit dem Mauleseltreiber Ramiro (Thomas Dolié) endlich zum Vollzug kommt. Schließlich tickt ihre biologische Uhr, die anderen Bewerber ticken völlig falsch, und die Gefahr, dass der gutmütige Gatte austicken könnte, ist eher gering.

Spannend wird dieses im Stil der Typenkomödie präsentierte Panoptikum menschlicher Schwächen erst durch die Musik: Maurice Ravel hatte sich vorgenommen, die italienische Opera buffa ironisch wiederzubeleben – mit Gesang, der sich ganz nach der französischen Sprache richtet.

Abgesehen von einigen lyrisch-melismatischen Höhenflügen des Schöngeists Gonzalvo (Julien Behr) und gelegentlichen Gefühlsausbrüchen der Uhrmacherfrau bleibt die Vokallinie wortbetont, bestimmt von Parlando und Mezza voce. Das Ensemble macht das tadellos und zeigt großen komödiantischen Einsatz – musikalisch wäre es dennoch sehr trocken, wenn nicht im Orchester die Post abginge.

Roth setzt den großen Klangapparat mit einer ganzen Batterie von Schlagzeugen beherzt in Gang und bringt die Klangmagie, Rhythmen und musikalischen Farben der Partitur zum Leuchten. Und wenn auch die Sänger im Schlussquintett doch noch mit einer feurigen Habanera auftrumpfen dürfen – am Ende fallen sie wie aufgezogene und leergelaufene Automatenfiguren um. Um so schöner ist der musikalische Kontrast zum zweiten Werk des Abends. „Das Kind und der Zauberspuk“, Ravels Vertonung einer Prosaskizze von Colette, wurde 1925 in Monte Carlo uraufgeführt. In der lyrischen Fantasie haben neben dem Skurrilen und Grotesken auch Sentiment und Melodie ihren Platz. Ein Schuljunge (überzeugend burschikos: Marie Lenormand) hat keinen Bock auf Hausaufgaben, wird bestraft und beginnt, vor Wut und Langeweile das Zimmer zu demolieren.

Doch dann erwachen die lädierten Einrichtungsgegenstände zum Leben und rücken ihm ihrerseits auf die Pelle: Die Teekanne tanzt einen Ragtime, begleitet von Xylophon, Holzblock und Käsereibe, das Rechenmännchen mit seinen aberwitzigen Aufgaben hat zur Verstärkung eine Abordnung des Kölner Domchors dabei, und die Schäfer des Opernchors bringen pastorale Klänge auf die Bühne, die Nele Ellegiers mit einem riesigen Buch und Tintenfass bestückt hat.

Die Sänger zeigen sich den Anforderungen ihrer verschiedenen Parts stimmlich und darstellerisch gewachsen. Immer neue Spukgestalten kriechen unter den Buchseiten hervor, auch die Lieblingsprinzessin des Jungen, die gleich darauf von einem bösen Schatten entführt wird. Aber nicht, bevor sie ein herzzerreißendes Klagelied gesungen hat, das Dongmin Lee mit ihrem hell strahlenden Sopran genauso veredelt wie die Koloraturen des aggressiven Feuers.

Als die misshandelte Flora und Fauna aufmarschieren, wird es brenzlig, doch Erlösung naht: Das Kind zeigt plötzlich Mitgefühl und verarztet das verletzte Eichhörnchen. So geht ein Märchen zu Ende, das nicht nur Kinder in seinen Bann zieht. Gesang, hintergründige Musik und großartige Kostüme huldigen einem magischen Realismus, der in tiefe Schichten des Unterbewusstseins vordringt. Das Premierenpublikum kommt ungern wieder an die Oberfläche, spendet dann aber allen Beteiligten ausdauernden Beifall.

Die nächsten Vorstellungen: 30. September, 2., 7. und 9. Oktober. Karten gibt es in den Bonnticket-Shops der GA-Zweigstellen.

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