Finale beim Jazzfest Bonn Diktator und Rebell in einem

Bonn · Jacob Karlzon, Dave Liebman und Richie Beirach sowie der Pianist Vijay Iyer mit seinem Trio und Nils Petter Molvær sind das Personal eines großartigen Abschlusswochenende des Musikfestivals.

 Esoterische Klangreise: Nils Petter Molvær beim Bonner Jazzfest.

Esoterische Klangreise: Nils Petter Molvær beim Bonner Jazzfest.

Foto: Jazzfest/Schnabel

Nach den letzten Tönen von „White Shadows“ herrscht Stille. Kein Applaus, nur begeistertes Schweigen. Es ist die ultimative Ehrerbietung für Jacob Karlzon, der mit diesem Instrumentalstück seinen Auftritt im Kammermusiksaal des Beethoven-Hauses krönt. Im Rahmen des Bonner Jazzfests kreiert der charismatische Schwede, der momentan auf Solo-Tour ist, einmal mehr seine verspielten Klanggemälde, für die er sich bei der Klassik ebenso gerne bedient wie bei hartem Rock.

An dem Ergebnis kann man sich genüsslich berauschen, kann eintauchen in die Klangwelten, die da aus dem Flügel quellen, kontinuierlich fließend und pulsierend. Woher diese Melodien kommen, wirkt mitunter wie ein Mysterium. Selbst für Karlzon: „Meine linke Hand hat manchmal ebenso ein Problem mit Autorität wie ich und macht Dinge ganz von selbst“, gesteht er mit einem Lachen. Da kann er noch so viele Befehle geben. „Ich bin Diktator und Rebell in einem.“ Zumindest nach Innen. Für das Publikum ist er vor allem einer, der sich nicht um Grenzen schert, sich eben auch mal von der Metalband Korn inspirieren lässt und daraus kraftvolle, virile und zugleich wunderschöne Melodielinien zieht oder der ausgerechnet während der ersten wirklich schönen Frühlingstage sein Konzert mit „November“ beendet. „Ich hoffe, das ist okay“, sagt er. Ja. Ist es.

Die Liebe zur Vielfalt und zur Klassik teilt Karlzon mit den beiden Jazz-Veteranen Dave Liebman und Richie Beirach, die schon mit Legenden wie Stan Getz, Miles Davis oder Chet Baker gespielt haben. Seit 50 Jahren stehen die beiden nun schon gemeinsam auf der Bühne, fast schon wie ein altes Ehepaar, wenn auch eines, das sich die Liebe am Experimentieren und Entdecken bewahrt hat. In einer Art Zwiegespräch werfen sich die Duo-Partner die Bälle zu, komplexe, aber immer irgendwie lyrische Versatzstücke, mit denen sie dann meisterhaft zu jonglieren verstehen.

Liebman holt aus seinem Saxofon alles heraus, lässt es mitunter schnaufen und keuchen, meistens aber singen, während Beirach ganz entspannt über die Tasten jagt und immer wieder Pausen schafft, um sich sein Haar zurückzustreichen, nur um sogleich wieder loszulegen und sich dabei auch mal vor Beethoven zu verneigen. „Ich habe ihn immer bewundert“, gesteht der 68-Jährige, „denn er hat den Sound des Pianos grundlegend verändert.“ Beethoven als früher Jazzer – das hat man bei diesem Jazzfest schon öfters gehört. An diesem Abend spürt man den Geist des großen Sohns der Stadt aber besonders deutlich.

Thelonious Monk war ja schon kein Pianist von der Stange. Und auf „Work“ gab Monk dem Klavier eine weitere polyrhythmische, perkussive Stimme. Was macht ein Trio, wie das von Vijay Iyer daraus? Es arbeitet die ziselierten Strukturen wie mit einem feinen Spitzmeißel heraus, streckt die Formen zwischen den Sektionen, so dass der Song wie ein Pendel immer stärker ausschlägt. Das Besondere an diesem Trio ist aber sein zusammenwirkendes Gefüge. Das Jazzfest Bonn schließt am Samstag mit einem ganz vorzüglichen Konzert des New Yorker Trios, das sich gut anderthalb Stunden lang treiben lässt durch seine neu geschaffenen Jazzwelten.

Denn der Pianist Vijay Iyer, unter anderem Professor für Critical Improvisation Studies an der Harvard University, ist weit davon entfernt, Hörgewohnheiten zu bedienen. Nein, es ist kein Free-Jazz und dennoch ein Bruch mit den bekannten Mustern. Seine Kompositionen sind so was wie rastlose Territorien, in denen alles geschehen, in denen eine Idee prächtig gedeihen kann. Iyers Jazz folgt dem Schwarmverhalten der Vögel, untermauert durch mathematische Grundlagen, die dem Wissenschaftler ebenso nahe stehen, wie die ganze Bandbreite menschlicher Ausdrucksfähigkeit. Es ist keine Musik, in die sich der Zuhörer sogleich fallen lassen kann, sie verlangt Aufmerksamkeit ab, und zugegebenermaßen entwickelt sich „Geese“ als Startpunkt nicht sogleich zu einer Liebe auf den ersten Blick. Das Klavier hastet zu gleichförmig durch die Komposition, der Bass von Stephan Crump bleibt eigenartig statisch, einzig Marcus Gilmore legt mit Eleganz seine polyrhythmischen Feuer unter das Spiel.

Er ist es wohl auch, der seine beiden Mitspieler dann schon bei „Libra“ und dem ineinander gehende „Emergence“ rausholt, ihnen die Ruhe gibt, um ihre malerische Vielfalt, die gestischen Nuancen voll auszuspielen. Und plötzlich scheint der Bann gebrochen. Alles fließt. Und auch das Publikum merkt es und hält den Atem an, wie die Stücke eins ins nächste übergehen. Bei Michael Jacksons „Human Nature“ kommt fast so was wie ein Oscar Peterson‘scher Swing auf, bei „Starlings“ leuchten helle Akkorde wie bei Lyle Mays Besonders berührend wird es beim letzten Stück vor den zwei Zugaben: Eine Hommage an den im vergangenen Jahr verstorbenen afroamerikanischen Autor und Poeten Amiri Baraka, der dem jungen Iyer wohl mal erklärt hat, wie persönlich und intim seine Musik ist. Ein schöneres Geschenk für das Bonner Publikum kann es nicht geben.

Davor entführte Nils Petter Molvær alleine mit sich, seiner Trompete und allerlei Elektronik die Zuschauer auf eine recht esoterische Reise durch seine Klang- und Bilderwelt. Schade.

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