Effektvolles Action-Drama auf Bonner Opernbühne

Der Jungregisseur Florian Lutz inszeniert Bizets "Carmen" als eine Mischung aus Action-Kino, Agitprop-Theater und Liebesdrama. Der 31-jährige Regisseur gewährt dabei einige tiefe psychologische Einblicke in die Seele der Protagonisten.

Bonn. Carmen und Karl Marx - wie passt das zusammen? Eigentlich gar nicht, aber Florian Lutz hat's in seiner Bonner Inszenierung von Bizets Oper dennoch versucht. Und ist gescheitert. Wenn auch auf eine durchaus kurzweilige Art. Denn Lutz bringt schon ein ziemlich effektvolles Action-Drama auf die Bühne, mit einstürzenden Mauern, schrägen Vögeln und Schießereien, einer (animierten) Hubschrauberexplosion und einem Fallschirm springenden Torero.

Im dritten Akt versammeln Lutz und seine grandiose Ausstatterin Andrea Kannapee die Bohémiens, wie die Zigeuner im französischen Original genannt werden, um eine Tafel nach dem Vorbild von da Vincis Abendmahl. Das Spektakuläre seiner Inszenierung verbindet Lutz geschickt mit seiner Sicht auf das zu einem großen Teil im subproletarischen Milieu angesiedelte Liebesdrama und gewährt dabei sogar einige tiefere psychologische Einblicke in die Seele der Protagonisten.

Tickets Karten im GA-Ticket-ShopDer 31-jährige Regisseur sieht Carmen nicht als männermordende Femme fatale, sondern vor allem auch als "Femme revoltée". Sie ist eine, die aufbegehrt gegen die herrschende Klasse, ihr oberstes Daseinsprinzip heißt Freiheit. Aber eine Sozialistin, wie Lutz suggerieren will, ist sie deshalb ebenso wenig wie eine Freiheitskämpferin. Carmen tritt allenfalls ihre eigene Freiheit ein, die eben auch darin besteht, sich die Männer selbst auszusuchen. Sie ist Anarchistin und deshalb müsste ihr Idol eigentlich eher Mikhail Bakunin als Karl Marx heißen.

Konsequent in dieser Inszenierung aber ist es, die Carmen mit einer sportlich durchtrainierten Darstellerin zu besetzen, wie Susanne Blattert sie ist. Sie tritt, sehr untypisch für die Rolle, in Jeans und Feinripp-Unterhemd auf, um sich mit der "Habanera" den wachhabenden Soldaten vor der Zigarettenfabrik zu präsentieren und ihnen zu zeigen: Ihr habt keine Chance. Das ist keineswegs eine Absage an die erotische Natur der Carmen, nur könnte die Bonner Carmen eine Schwester von Lara Croft sein. Susanne Blattert verzichtet dabei allerdings auf comicartige Zweidimensionalität. Sie bietet im Gegenteil darstellerisch wie stimmlich alles auf, was es an menschlichen Gefühlen gibt: Lebensgier und Leidenschaft, Angst, Trauer, Verzweiflung und natürlich: Liebe.

Die berührendste Szene ist die, in der Don José (Jean-Noël Briend) ihr in Lilla Pastias' Kneipe wiederbegegnet. Sie tanzt für ihn (wobei statt der Kastagnetten Karl Marx' Schreibmaschine klappert), würde ihm sich ganz und gar schenken, doch er wendet sich ab, sobald die Fanfare ihn zum Dienst zurückpfeift. Der Gehorsam des Sergeanten Don José, der seine Pflicht über die Liebe zu ihr stellt, ist für Carmen unerträglich, ihre Reaktion heftig. Da ändert auch die mit schönem Tenorschmelz gesungene "Rosenarie" Don Josés nichts mehr. Dieser Riss, der durch die Liebe des Paares geht, wird selten so schmerzlich fühlbar wie hier. Don Josés Eifersucht nimmt danach deshalb so rasende Züge an, weil sie aus der Erkenntnis seiner eigenen Schwäche wächst.

Dass er den Anblick des machohaften, von Mark Morouse nicht ohne Selbstironie gespielten (und mit solidem Bariton gesungenen) Don Escamillo schon gar nicht erträgt, ist nachvollziehbar. Lutz versteht es aber auch, mit den Chormassen umzugehen. Die Anarchie auf der Bühne verrät eine starke ordnende Hand; auch musikalisch läuft alles perfekt: Trotz permanenter Rollen- und Kostümwechsel bleibt die Konzentration und Präsenz des von Sibylle Wagner musikalisch einstudierten Opernchors vorbildlich. Und Ekaterina Klewitz hat den Kinder- und Jugendchor großartig vorbereitet.

Angefeuert werden sie aus dem Graben von Robin Engelen, der hier seine Premiere als Erster Kapellmeister des Hauses glänzend besteht. Das Beethoven Orchester spielt mit Temperament und südländischem Feuer, bringt aber auch die intimen, kammermusikalischen Töne traumhaft schön herüber. Bizets "Carmen" lebt natürlich auch von einem starken Solistenensemble. Giorgos Kanaris, Mark Rosenthal, Ramaz Chikviladze, Sven Bakin, Judith Gauthier, Kathrin Leidig waren ausgezeichnete Nebendarsteller.

Der Schauspieler Roland Silbernagl entpuppte sich in der Rolle des Pastia/Marx als großes Slapsticktalent. Und Sopranistin Julia Kamenik gewann als Micaëla, die etwas biedere Verlobte Don Josés, die Herzen des Publikums, das die musikalische Seite insgesamt bejubelte, während Florian Lutz' Deutung auf geteiltes Echo stieß und einige Buhrufe provozierte.

Termine: 10., 18. und 25. Dezember, weitere 15 Aufführungen 2011.

Auf einen Blick##ULIST##

Die Oper: Bizets "Carmen" mit ihren unsterblichen Melodien wurde 1874 in Paris uraufgeführt,

  • Die Inszenierung: Ein bisschen viel Karl Marx fürs Stück. Dafür entschädigen Emotionen und Action.
  • Die Musik: Solisten, Chor und Orchester bieten eine erstklassige Leistung.
Meistgelesen
Neueste Artikel
Ein Porträt Venedigs am Piano
Iiro Rantala und Fiona Grond beim Jazzfest Ein Porträt Venedigs am Piano
Zum Thema
Aus dem Ressort