Nike Wagner im GA-Interview "Ein Festival muss Ausnahmezustände herstellen"

Bonn · Das erste Bonner Beethovenfest unter der Leitung von Nike Wagner ist geschafft. Wie es mit dem Festival weitergeht und welche Pläne sie noch hat, verrät die Intendantin im GA-Interview.

Das erste Beethovenfest in Ihrer Verantwortung liegt hinter Ihnen. Wie haben Sie es erlebt?

Nike Wagner: Ich fand mich in ein bestehendes System ein, das gut funktioniert, und wurde erst mal mitgerissen. Im Festival-Alltag kümmere ich mich vor allem um die Förderer, Ehrengäste, Busreisenden und Freundesvereine: Begrüßen, danken, Werkeinführungen halten, Hände schütteln. Daneben eine Unzahl von Interviews. Das kannte ich aus Weimar so nicht, dort war eher Ruhe. In Bonn kommt noch die rheinische Festfreude hinzu, die die Nächte erheblich verlängert.

Und die gefällt Ihnen?

Wagner: Na klar! Ein Festival muss Ausnahmezustände herstellen. Wer Geld für Beethoven gibt, sollte gefeiert und gewürdigt werden. Und auch angewärmt für die Zukunft, wir brauchen unsere Gönner!

Das Festival war sehr gut besucht. Dennoch war die Beethovenhalle als größte Spielstätte nicht immer ausverkauft. Ist da für die kommenden Beethovenfeste noch Luft nach oben?

Wagner: Ich bin schon jetzt sehr zufrieden! Die Beethovenhalle ist ja groß und war selbst bei nicht ausverkauften Konzerten gut besucht. Und irgendwie bin ich gerührt: die Menschen kommen und haben, statt vor dem Fernseher zu sitzen, Freude an anspruchsvoller Musik. Konzentration und Begeisterung waren immer wieder zu spüren, standing ovations bei vielen Konzerten.

Nehmen Sie eine Überalterung des Publikums bei klassischen Konzerten wahr? Man spricht oft mit etwas geringschätzigem Unterton vom Silbersee.

Wagner: Warum soll ich Kennerschaft gering achten, nur weil die Haare grau sind? Die Senioren sind längst ein Wirtschaftsfaktor, das weiß nicht nur der Tourismus. Im Übrigen tun wir alles, um die next generations zu kriegen. Meine Vorgängerin hat für die Beethovenfeste ein ausgeklügeltes System entwickelt, mit vielen Angeboten im Education-Sektor bis hin zu Kartenvergünstigungen.

Werden Sie die Education-Programme weiterführen?

Wagner: Je mehr die musischen Fächern an den Schulen weggekürzt werden, desto mehr werden die Festivals, Konzert- und Kunsthäuser in die Pflicht genommen. Wir tun das, wir machen unsere Jugend-Programme – aber da stimmt grundsätzlich was nicht, das ist kein nachhaltiges Verfahren. Es geht für eine „Kulturnation" auf Dauer nicht, dass die zusammengesparten Kultureinrichtungen und ausgehungerten Festivals für die ästhetische Bildung zuständig sind.

In Ihrem Vortrag zur Eröffnung des Beethovenfestes sagten Sie, dass Sie Beethoven nicht dem Kommerz ausliefern wollen. Lässt sich das denn überhaupt vermeiden, wenn man auch von Einnahmen abhängig ist?

Wagner: Vieles ist auch Wunschdenken, wenn ich so etwas sage. Aber ich stehe dazu. Dass die Sache kompliziert ist, zeigt freilich schon die Aufführung der Werkzyklen in diesem Jahr - alle neun Sinfonien, alle Violinsonaten und alle Klavierkonzerte. Dahinter stecken auch Überwältigungs- und Event-Strategien. Ich fühle mich überfrachtet, wenn ich die neun Sinfonien in einem Zug durchhören soll, andererseits lässt sich das Charakterprofil eines Dirigenten wie Andris Nelsons auf diese Weise viel besser erkennen. Wahr ist auch, dass das Paket-Denken auf der Ebene der Musikkritik funktioniert; dafür kommen überregionale Kritiker eher nach Bonn als für ein einzelnes Konzert. Und bei den Sponsoren und dem Publikum machen ganze Zyklen Eindruck. Sir Simon Rattle und die Berliner haben gerade einen Brahms/Schumann-Zyklus gemacht. Obwohl das alles so gut zu funktionieren scheint, bin ich kein Freund solcher Programmationen, sie sind allzu auffällig dem Betrieb geschuldet, „Gesamtaufnahmen" im Konzertsaal.

Was ist die Alternative?

Wagner: Man muss intelligent, abwechslungsreich und kreativ programmieren. Auf längere Sicht ist das Publikum damit auch zu gewinnen, es entwickelt Entdeckerfreuden.

Wie könnte so etwas aussehen?

Wagner: Ich denke dramaturgisch. Ich bitte die Künstler und Orchester des nächsten Jahres, sich erst einmal zu dem Motto der Saison etwas einfallen zu lassen. 2015 heißt es „Veränderungen"– also bitte ich darum, zumindest ein Variationenwerk ins Programm zu nehmen. Was den Rest des Programms betrifft, gehe ich dann selbstverständlich auf die Wünsche der andern ein. Und wenn gar nichts geht, verzichte ich auch mal auf einen Star oder einen sturen Dirigenten. Mehr Glanz auf die Werke als auf die Interpreten!

Sie interessiert die historische Aufführungspraxis, also das Spiel auf originalen Instrumenten. Wird das künftig eine größere Rolle spielen?

Wagner: Unbedingt. Vor einiger Zeit habe ich die Sechste Beethoven von Jos van Immerseel und seiner Anima Aeterna in Amsterdam gehört und war begeistert. Das Ensemble kommt 2015 mit drei Konzerten nach Bonn. Die verschiedenen Klangbilder bei Beethoven sind auch Thema bei einem Diabelli-Variationen-Projekt im nächsten Jahr. András Schiff wird die Variationen auf einem modernen Flügel spielen, und es wird eine Interpretation auf dem Hammerklavier geben. Hör-Vergleiche machen einfach Spaß, das gleiche ist nicht dasselbe.

Die Stadt Bonn schickt sich an, Geld zu sparen. Unter anderem ist eine spürbare Kürzung der Zuschüsse für das Theater geplant. Ist die Kulturstadt Bonn gefährdet?

Wagner: Ich bin ein strikter Gegner von bedenkenlosen Kürzungen bei Kunst und Kultur. Ich verstehe alle Sorgen des Stadtrates, was soziale Probleme betrifft, und teile sie. Aber die Stadt weiß auch, dass das Herunterfahren des Kulturbudgets negative Auswirkungen auf Wirtschaft und Lebensqualität hat. Paradox ist, dass Bonn, zeitgleich mit seinen Kultur-Streichungen, große Anstrengungen macht, um im Beethovenjahr 2020 als Kulturstadt dazustehen. Denn da müssen wir dem Bund und dem Land ja zeigen, dass wir für unsere kulturellen Ziele geradestehen.

Aber wenn das Geld definitiv nicht da ist, was bleiben da für Möglichkeiten?

Wagner: Da bin ich irgendwann auch überfragt. Schließlich bin ich nur ein braver Kulturveranstalter, der sich Mühe gibt, den Bürgern wichtige und schöne Dinge zu vermitteln. Insgesamt droht alles auf das kommerzielle amerikanische Modell zuzulaufen, für das uns in Europa allerdings die Voraussetzungen fehlen.

Am öffentlichen Auftritt des Beethovenfestes hat sich noch nichts geändert. Werden Plakate, Broschüren und der Internetauftritt ein neues Gesicht erhalten?

Wagner: Das muss sein! Wir leben in einem visuellen Zeitalter, und eine neue „Ära" muss sich auch optisch ankündigen. Für Festivals ist das ganz anders als für Wirtschaftsunternehmen – wir leben von Aufregungen und Veränderungen, wir sind auch bunt wie ein Zirkus.

Eine andere Konstante waren bislang die Gastspiele der Kammerphilharmonie Bremen, die seit 2004 eine Residence beim Beethovenfest haben. Wird die Zusammenarbeit fortgesetzt?

Wagner: Die Kammerphilharmonie ist ausgezeichnet, war aber nun seit Jahren und ausgiebig beim Beethovenfest vertreten. Ich denke da, festspielgerecht, in Kategorien der Abwechslung.

Können Sie schon Namen für 2015 nennen?

Wagner: Die „Hochglanz"-Namen sind Zubin Mehta, der mit dem Israel Philharmonic kommen wird, und Iván Fischer mit dem Budapest Festival Orchestra. Beide waren schon gebucht, bevor ich kam, aber ich habe versucht, noch ein wenig an den Programmen zu schrauben. Später hinzugekommen ist jetzt Daniel Barenboim mit der Staatskapelle Berlin. Sie werden das Eröffnungskonzert gestalten. Mit Barenboim habe ich vereinbart, dass er die „Variationen für Orchester" von Arnold Schönberg ins Programm nimmt, er ist also auf meine Bitte, sich nach dem Motto „Veränderungen" zu richten, eingegangen.

Worauf darf man sich in den Kammermusikkonzerten freuen?

Wagner: Die Cellistin Sol Gabetta wird kommen, und auch das Klavierduo Yaara Tal & Andreas Groethuysen, die ein tolles Variationen-Programm machen. Darüber hinaus wird es kammermusikalisch unterfütterten zeitgenössischen Tanz geben, und wir werden die Zusammenarbeit mit Oper und Theater intensivieren.

Wird denn der aufblasbare Kammermusiksaal im nächsten Jahr kommen?

Wagner: Hoffentlich! Bonn braucht ihn! Die Entwürfe liegen vor, und der Ort ist gefunden – der Innenhof des Poppelsdorfer Schlosses. Die Zusammenarbeit mit der Universität funktioniert wunderbar. Jetzt fehlt nur noch das Geld: „nur noch"! Ich bin unterwegs.

Und nach dem Kammermusiksaal das Festspielhaus?

Wagner: Möge uns Gott dieses bescheren und einen gesunden Business-Plan dazu! Es wäre großartig, wenn das Beethovenfest ein attraktives neues Haus ohne akustische Probleme hätte. Aber man kann das alles nicht unabhängig vom Kontext der Stadt und ihrer Finanzlage sehen. Bauen ist eines, das Betreiben über Jahrzehnte ein anderes.

Ein Festspielhaus wäre schön, aber nicht überlebensnotwendig für das Beethovenfest?

Wagner: So viel traue ich guter Musik denn doch zu, dass sie nicht nur abhängig ist von neuen Sälen. Städtebauliche Kenner aus Berlin finden die alte Halle im Übrigen „total schräg". Wie die Dinge liegen, suche ich momentan nach Mitteln und Wegen, die Beethovenhalle von innen umzugestalten, damit ein Ensemble auch mal in die Mitte platziert werden kann, oder wie man verrückte performative Dinge machen kann, zu denen die 50er-Jahre-Architektur dann in einem witzigen Kontrast steht. „We try harder" heißt es doch in der Werbung....

Zur Person

Die in Bayreuth aufgewachsene Nike Wagner (68) ist Ur-Ur-Enkelin des Komponisten Franz Liszt, Urenkelin von Richard Wagner und Tochter Wieland Wagners. Die Kulturwissenschaftlerin leitete 2004 bis 2013 das Kunstfest "Pèlerinages" in Weimar. Seit Januar 2014 ist sie Intendantin des Beethovenfestes.

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