Kunst in Bad Godesberg Ein Kunstschatz aus New York
BAD GODESBERG · Eigentlich ist die Entstehung des Buches, auf dem dieser dürre, expressionistisch gemalte Mann prangt, eine richtig spannende Detektivgeschichte. Und die spielt hier in einem Bad Godesberger Haushalt genauso wie in New York, München und Darmstadt.
Hauptdarstellerin ist Eva Mertes, eine Rüngsdorfer Grafikexpertin. In den Nebenrollen sind ihr verstorbener Vater Alois Mertes, Staatsminister im Auswärtigen Amt, und ihr Ehemann, der Galerist Franz Schön, besetzt - und natürlich dieser bis vor kurzem noch unbekannte Maler Willy Hallstein, auf dessen Spur sich Eva Mertes gemacht hat.
Alles fängt damit an, dass Vater Mertes Anfang der 1970er Jahre beim Stöbern in einem New Yorker Kunstantiquariat plötzlich auf einen Stoß wunderbarer Karikaturen stößt - und sie sofort kauft. Als Historiker ist ihm sofort klar: Diese 52 exzellenten Handzeichnungen und 14 Radierungen aus der Lower Eastside sind europäisches Kunsterbe vom Anfang des 20. Jahrhunderts. Und sie sind ein wahrer Schatz.
Kaum wieder am Rhein, erntet Vater Mertes für seinen Fund vom kunsthistorisch versierten Nachbar ein spontanes "Das ist 'ne Wucht in Tüten". Mehr weiß die Wissenschaft aber nicht. Und so liegen die Karikaturen erst einmal wieder fast 40 Jahre brach. Niemand kann mit dem signierten Namen etwas anfangen. Wer war dieser Willy Hallstein, der à la George Grosz die Welt der Kleinbürger, Künstler und Studenten des beginnenden 20. Jahrhunderts so trefflich aufs Papier gebracht hatte?
Und jetzt kommt unsere Detektivin ins Spiel. Über die Jahre hatte die Möbelrestaurateurin Eva Mertes, die im Grafikhandel tätig ist, immer wieder einmal angesetzt, das Geheimnis des väterlichen Schatzes zu lüften. Wie kamen Werke eines deutschen Künstlers nach New York? Mertes hakte bei der Einwanderungsbehörde Ellis Island nach: Fehlanzeige. Der Gesuchte hatte nicht ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten gewechselt.
2012 stieß sie dann im Rahmen ihrer Grafikrecherchen zufällig auf ein Porträtfoto als Nachruf in der damals renommierten Kunstzeitschrift "Jugend": Mitarbeiter Willy Hallstein sei am 14. Mai 1923 gestorben. Eva Mertes war elektrisiert, wie sie es auch in ihrem Buch schildert. Das war die heiße Spur. Dieser schmale, leidend aussehende Mann war der Künstler, nach dem der inzwischen verstorbene Vater geforscht hatte.
"Da hat es bei mir Klick gemacht." Mit Feuereifer warf sich die Tochter, der die härtesten Nüsse ohnehin die liebsten sind, in weitere Erkundigungen. Und plötzlich kam ein Puzzlestück zum anderen, nachdem Mertes endlich auch ein weiteres Hindernis aus dem Weg geräumt hatte: Hallstein hatte den Anfangsbuchstaben seines Namen gerne in Sütterlin geschrieben: Der Künstler "Gallstein" im Internet war also auch ihr Herr Hallstein.
Das Ergebnis der folgenden Recherchen, die Eva Mertes nebst Ehemann Franz Schön auch in viele andere Städte und deren Archive führte: Der 1887 in Darmstadt geborene Kunstmaler hatte im München-Schwabing der Karl-Valentin-Jahre reüssiert. Trotz großer Konkurrenz hatte er im Marktführerblatt "Jugend" in seinen letzten vier Lebensjahren 143 Zeichnungen veröffentlicht und weit geschätzte Auftragarbeiten etwa für den Zirkus Krone gezeichnet, bevor er 1923 jung starb.
Durch seinen jüdischen Arzt, der das sicher ab 1933 als entartet eingestufte Erbe bei der Flucht mitnahm, gelangten die Blätter in die USA, wo sie zum Teil in Museen und eben in einem Antiquariat der Lower Eastside landeten. Und mit Alois Mertes schließlich wieder nach Deutschland zurückgebracht wurden.
Seine Tochter hat dem zu Unrecht vergessenen Zeichner nun zur verdienten Würdigung verholfen. Der nagelneue Wikipedia-Eintrag und die Hallstein-Artikel in der Kunstliteratur stammen natürlich von ihr. Und mit Herausgabe des Buches wird Eva Mertes dem Zeichner, für den der sachlich klare Jugendstilstrich und der mitfühlende Blick auf die armen Leute seiner Zeit so typisch war, auch zur ersten Ausstellung verhelfen. Ein Recherche-Teilerfolg hat die Detektivin übrigens zum Schmunzeln gebracht.
"Eigentlich hatte ich zu Willy Hallstein immer aufgeschaut. Ich hatte ihn mir als ellenlangen dürren Mann vorgestellt." Und sie zeigt auf das Cover ihres Buches, wo sich Gallstein-Hallstein ironisch als grüngesichtiger, krummer Sportsverweigerer in Szene gesetzt hatte. Und dann stöberte sie in Militärakten des Ersten Weltkriegs. Und da stand, "ihr" Willy Hallstein sei nur beschränkt einsatzfähig gewesen. "Weil er kleinwüchsig war, nur 1,49 Meter groß."
Im Handel erhältlich: Eva Mertes, Willy Hallstein. Ein vergessener Künstler zwischen Jugendstil und Moderne, 2014, 16,90 Euro (mit umfangreichem Bildteil von bisher unveröffentlichte Original-Zeichnungen und Radierungen.
Die Ausstellung zum Buch: vom 15. März bis 5. April in der Galerie Schön, Löbestraße 1. Eröffnung: Samstag, 15. März, 18 Uhr.