Premiere in Köln: "Karnickel" Ein Reigen der Lädierten

Köln · Dirk Lauckes Stück „Karnickel“ eröffnet Kölns Außenspielstätte am Offenbachplatz. Als Partykracher zur Einweihung erntet das Ganze heftigen Beifall.

 Kurze Kampfpause: Szene mit Sozialarbeiter Matschke (Mohamed Achour, l.) und Akademiker Robert (Benjamin Höppner).

Kurze Kampfpause: Szene mit Sozialarbeiter Matschke (Mohamed Achour, l.) und Akademiker Robert (Benjamin Höppner).

Foto: David Baltzer

Vorsicht vor Kaninchen namens Blacky! Zwar ist der kleine Racker schon vor 20 Jahren von Nachbars Rottweiler verfrühstückt worden, spukt aber in „Karnickel“ als schwarzes Langohrgespenst über die Bühne. Mit Dirk Lauckes Komödie konnte das Schauspiel Köln zum Debüt der Außenspielstätte am Offenbachplatz gar eine Uraufführung bieten. Dem Autor aus dem ostdeutschen Schkeuditz hatte Pinar Karabuluts Inszenierung von „Furcht und Schrecken...“ in der Grotte so gefallen, dass er der Regisseurin nun sein neues Stück anvertraute.

Ein tragikomischer Reigen der Lädierten, angeführt von Robert Brendel. Den Filmprofessor piekst sein bürgerliches Ruhekissen: weil Vater Hermann (Werner Rehm) nicht nur Blacky vermisst, sondern ins Heim muss, weil Sohn Juri (Thomas Brandt) irgendwie Musik und Protest macht, in hypochondrischer Lebensscheu aber sonst wenig auf die Kette kriegt. Ach ja, und Ehefrau Ina (Yvon Jansen) probt den Absprung.

Zu Roberts Missfallen nimmt sie als Opfer eines (von ihm ausgelösten) Überfalls halbstarker Migranten an Vermittlungsrunden mit den Tätern teil. Und liebäugelt obendrein in der Bauchtanzgruppe mit dem „bösen“ Orient. Den interkulturellen Schmusekurs gibt dabei Sozialarbeiter Matschke vor, dem Mohamed Achour schmierige Milde verleiht.

Das alles passiert um ein manchmal höllisch leuchtendes Häuschen herum (Bühne: Franziska Harm), durch dessen Minitüren und -fenster sich die Figuren quetschen und das „trautes“ Heim, Sozialschuppen oder Kneipe ist.Lauckes Stärke sind rasant verzahnte Dialoge, in denen kaum jemand das donnernd Ungesagte hört. „Wortreiches Schweigen“ nennt er das. So begreift Juri die Schwangerschaft von Freundin Nadja (trotzig-verletzlich: Magda Lena Schlott) als letzter. Hatte der demenzvernebelte Alt-68er Hermann noch sozialistische Ideale, so zitiert Robert nur eitel (Siegfried) Kracauer – „nicht die Wurst!“, – die jedoch prompt aus der Imbissklappe kommt.

Überhaupt nimmt Pinar Karabulut den Begriff „Komödie“ als Ansporn zu wahren Gagkaskaden: Das beginnt bei den pelzig-grotesken Riesengesäßen und Mauseohren der Bauchtänzer/innen und endet längst nicht beim Barkeeper-Kaninchen, das Robert fast mit Hochprozentigem ersäuft. Denn mit der Degradierung zum Gastdozenten wird der Akademiker vollends desolat: eine wacklige Achse, um die das Puppentollhaus immer schneller rotiert.

Benjamin Höppner brilliert im alkoholbefeuerten Amoklauf gegen den Rest der Welt. Kommen die lauten Exzesse beim Publikum oft als Klangbrei an, so wirken die raren Kampfpausen intensiver: das rührende Einverständnis mit Juri, die betrunkene Taxifahrt mit Ina durch die Scherben des vergangenen Glücks.

Doch bevor hier jemand romantisch glotzt, wird Yvon Jansen schon wieder zur schrillen Gattenverächterin. Karabulut schießt von Slapstick bis Zeitlupe das ganze Sortiment von der Effektrampe. Dabei setzt sie Lauckes garstig-traurigen Verriss linken Utopieverrats so heftig unter Strom, dass die Sicherungen rausfliegen. Als Partykracher zur Einweihung erntet das Ganze jedoch heftigen Beifall.

Zwei Stunden ohne Pause. Wieder am 6., 14./15. sowie 20./21. 10, 19.30 Uhr. Karten: (0221) 22 12 84 00.

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