Ein Schweigen zu dritt

"Große Gefühle" bei der Lit.Cologne-Gala in Köln: Ein Abend (nicht nur) für Frauen

  "Wie werde ich Schriftstellerin?"   Iris Berben in Köln.

"Wie werde ich Schriftstellerin?" Iris Berben in Köln.

Foto: Thomas Brill

Bonn. "Die meisten heute Abend hier sind Frauen. Frauen kaufen die meisten Bücher und lesen sie auch. Und die meisten Männer, die hier sind, interessieren sich für Frauen", stellte Roger Willemsen angesichts der vollbesetzten Kölner Philharmonie fest.

Als Moderator für die diesjährige Lit.Cologne-Gala ist der sympathische Riese eine gute Wahl, auch wenn er bisweilen etwas arg schnell spricht. Der Abend (nicht nur) für Frauen hält sie, die Pause mit gerechnet, über drei Stunden gefangen. Das Motto lautet "Große Gefühle", und auch dazu hat Willemsen blitzschnell eine Erläuterung parat: "Große Gefühle sind immer auch gemischte Gefühle, die nicht auf dem Dreiklang einer Britney-Spears-Komposition beruhen".

Derartige Minimalismen braucht aber niemand zu befürchten. Das hohe Niveau der Texte, die an diesem Abend vorgelesen werden, findet eine wunderbare Entsprechung in der Auswahl der Vorleserinnen und Vorleser. Allein, dabei sein zu dürfen, wie Hannelore Hoger und Iris Berben den Autorinnen Agota Christof und Nina Berberova ihre Stimme leihen, ist schon das Eintrittsgeld wert.

Die Darstellerinnen von Bella Block und Rosa Roth teilen sich einen Tisch und ein Thema: "Wie wird man Schriftstellerin?" Ganz grandios auch Marie Bäumer. Aus den Tagebüchern der Anais Nin liest sie die Szene einer Totgeburt in den 1930er-Jahren. Sie steigert die Spannung, die Wut und die Trauer bis hin zum scheinbar nicht mehr Erträglichen.

Mit seiner Hommage an Samuel Beckett vermag auch Joachim Król das Publikum zu fesseln. Zu hören, wie in den 1950ern am Ku'damm "ein Schweigen zu dritt" klingt - aufregend, unterhaltsam, ständig abenteuerlich und auch beruhigend, ist ein Genuss.

Die großen Gefühle reichen von traurig - den Gedichten von Selma Meerbaum-Eisinger, die, einer Anne Frank gleich, nicht erwachsen werden durfte, weil sie Jüdin war - bis heiter. Für Letzteres sorgt vor allem der Schweizer Franz Hohler mit wortakrobatischen "Wegwerfgeschichten".

Ausreißer gibt es an diesem Abend nur zwei - MTV-Moderatorin Sarah Kuttner, die sich in Null-Morphemen über Krawatten, Hackfressen und Hartgummikörper ergeht. Sowie Gerd Köster & Dirk Raulf, deren Musikprojekt "Nox" (Lieder zur Nacht) darüber rätseln lässt, warum Sänger Köster sein Mikrofon nicht gleich verschluckt, anstatt es so dicht vor den Mund zu halten, dass die Worte nur als verschliffenes Nuscheln vernehmbar sind.

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